Es ist 5 Uhr morgens. Mein Wecker klingelt und ich verfluche mich selbst. Gestern Abend, als ich ganz ruhig und entspannt noch im Hoteleigenen Outdoor Onsen saß, hatte sich das alles noch so einfach angehört:
Ich stehe um 5 Uhr auf, fahre um 6 Uhr mit dem Zug zur Tôkyô Big Sight und warte dann dort von 6 Uhr 30 bis 10 auf die Eröffnung der Messe. Im Winter. Direkt am Hafen. Auf einer künstlich angelegten Insel. OMG!
Aber was muss, das muss. Und was ist schon eine Angina gegen 6 Stunden puren Kaufrausch. Also ziehe ich so ziemlich alles aus meinem Kleiderschrank übereinander an, gebe meinen Koffer in der Lobby ab und mache mich auf den Weg.
Dann der erste Schock. Sie teilen die Menschenmassen bereits am Bahnhof in Wartende für die Ost- und Wartende für die Westhalle, sodass aus dem gemeinsamen Warten und Aufpassen von Britt und mir nix wird. Ich mache mich deswegen alleine auf in Richtung Osthalle, wobei der Begriff „allein“ etwas irreführend ist. In einer riesigen Menschentraube schiebe ich mich vorwärts und kann nicht mal die Hinweisschilder zu beiden Seiten des Fußwegs sehen.
Wir werden- wie es sich anfühlt- einmal um das ganze Areal herum geführt, über mehrere Ampelkreuzungen, was die lange Schlange in handlichere Portionen teilt. Schlau sind sie schon, die Japaner ^.^.
Nach zwanzig Minuten Fußmarsch, kommen wir auf einem riesigen Parkplatz an, auf dem Menschen in Parzellen unterteilt auf dem Boden sitzen. Bei geschätzten 5 Grad! Aber gut, wir laufen entlang der Reihen und werden schließlich gestoppt. Die Ordnungsjapaner (im Folgenden nur noch OJ genannt) umschwärmen meine Gruppe und wiederholen wie im Mantra „Gehen sie LANGSAM weiter!“. Wir werden in eine leere Parzelle geleitet und dann kommt der befürchtete Satz: „Und jetzt alle hinsetzen!“.
Mami! Ich will nicht 3 Stunden auf einem eiskalten Steinboden sitzen. Doch OJ 307 bleibt hart und mein Hintern auf der Plastiktüte. Also, wenn das mit der Japanologie nix wird, werde ich Klappstuhl-Verkäufer auf der Comiket. Bereits nach 30 Minuten würde ich mein halbes Budget für einen ausgeben.
Ich vertreibe mir die Zeit mit letzten Notizen auf meinen Exel-Listen (Ja, ich habe Exel- Listen, und farbig markierte Hallenkarten mit Pfeilen zu den korrespondierenden Tabellen. Wie gesagt, ich will den Tag überleben!). Außerdem werden Mailabsprachen mit Britt gehalten: Ja, hier ist es auch kalt. Um 8 Uhr 30 werden die Schlangen zum Eingang geführt und dieses oder jenes Dôjinshi (von Fans gezeichnete Comics zu einem existierenden Material) musst du mir aus deiner Halle unbedingt besorgen.
Langsam kommt Bewegung in die Leute und wir dürfen endlich aufstehen. Dann sollen die ersten in den Eingangsbereich der Halle gelassen werden, also die Leute, die bereits am längsten warten. Und da kommt auch schon der nächste Schock. Es ziehen Heerscharen von Japanern an uns vorbei. Anscheinend waren auf unserem riesigen Parkplatz nur die Wartenden von 6 Uhr 30 bis 7 Uhr 30 untergebracht. Weiß der Teufel, wann die ersten hier aufgeschlagen sind!
Um kurz vor 10 wird dann auch meine Parzelle in den Strom eingereiht. Und so alle vorher im Kontrollieren der Massen waren, jetzt versagen die OJ doch. Einmal im Strom in Richtung Eingang, drückt und schiebt alles vorwärts, ohne Rücksicht auf Verluste.
Und dann ist es geschafft. Ich stehe in der Osthalle, während alle anfangen zu klatschen. Die Jagt ist eröffnet. Die große Tüte mit griffbereitem Portemonnaie in der linken, die Tabellen in der rechten Hand, atme ich noch einmal tief durch und jage durch die Hallen. Todesmutig wird gedrängt, gesucht und gekauft, was das Zeug hält. Leider kann ich euch von den Hallen kaum Bilder zeigen, da das Fotografieren überall strengstens verboten ist. Einmal, um keine Staus zu verursachen, andererseits, um die Anonymität der Besucher/Verkäufer/Zirkel zu wahren. Deswegen nur ein paar heimliche Bilder. Cosplayer darf man in den Hallen auch nicht knipsen und mit etwas nachdenken, ist das auch verständlich.
Wenn bei der halben Millionen Besucher, die sich täglich durch die Hallen quetschen, auch nur ein paar Hundert an wichtigen Stellen irgendwen fotografieren wollen, kommt der gesamte Verkehr zum Erliegen. Deswegen treffen sich die Cosplayer auf einem Areal vor den Hallen, wo es außerdem einen Springbrunnen und Parkanlagen für nette Motive gibt. Leider habe ich diesen Platz erst relativ spät gefunden, und deswegen weniger Fotos schießen können.
Als ich gegen 11 Uhr 30 nochmal meine Runde durch die Hallen mache, sind die meisten Stände bereits leer. Ein Großteil der Zirkel können nur mit einer geringen Auflage ihrer Werke in Vorkasse gehen und sind deshalb schnell ausverkauft.
Ich treffe gegen 12 Uhr Britt und wir finden an einen Stand für Sherlock Homes Dôjinshi zwei Halbjapanerinnen. Mit ihnen geht es nochmal kurz in die Westhalle zu den Spielbasierten Dôjinshi und gegen 14 Uhr bin ich eigentlich bedient. Die Füße platt, die Zehen immer noch erfroren und noch 9 Stunden totzuschlagen, bis mich mein Nachtbus zurück nach Kyôto bringen soll. Man kann also sagen, meine Stimmung ist nicht die Beste, während Britt immer noch quietsch fidel um mich rumturnt. Doch Britt wäre nicht Britt, wenn sie mein Wehklagen nicht vollständig ignorieren würde. Also machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem Cosplay Park und tauschen vorher noch Mail-Adressen mit unseren neuen Bekanntschaften aus.
Die Messe wird übrigens vollständig in Volontärarbeit von Fans für Fans organisiert. Und an manchen Dingen merkt man, die die einfachsten Ideen zu einer guten Strategie werden können. So sind zum Beispiel einige Zirkel und Dôjinshi beliebter als andere. Diese werden aber nicht in die Mitte, sondern an die Ränder der Halle gesetzt, damit sich Schlangen zur Not auch aus den Flügeltüren raus um die Hallen herum bilden können. Doch wie soll man wissen, für welches Dôjinshi man in welcher Schlange ansteht, wenn diese doch ziemlich lang werden können? Ganz einfach! Der letzte in der Reihe bekommt ein Pappschild mit dem Bild des Buches in die Hand, und wenn sich ein Weiterer anstellt, bekommt er das Schild zum Hochhalten. So ist an jedem Schlangenende klar, worum es geht.
Außerdem werden die extrem Pornographischen Comics ebenfalls an die Ränder verbannt. Was diese Zirkel dazu veranlasst, die Wände hinter ihnen mit riesigen Plakaten ihrer Zeichnungen zuzukleistern. Ein Beispiel ist auch als Foto dabei. Neuster Fund in der Kategorie „Oh mein Gott, warum nur?“ sind übrigens sternförmige… Nippel. -___- Oh, Japan…
Gut, doch zurück zu den Cosplayern. Endlich auf dem Cosplay Areal angekommen finden wir viele süße Japanerinnen, einige Japaner die vollständig zu Japanerinnen geworden sind (Siehe den weiblichen Firefox) und leider auch eine Gruppe, die wir einfach fotografieren mussten, weil das Grauen keinen Namen hat.
Ohne Witz, diese Gruppe (bei den Fotos wohl recht eindeutig zu erkennen), fand es anscheinend richtig, Hitler samt Gefolge und Waffen darzustellen. Nachdem wir die Truppe eine Weile mit offenem Mund angestarrt haben, ist also dieses Foto entstanden. Für manche Dinge gibt es keine Entschuldigung, und keine Worte.
Auf den Schreck kommt ein Anruf von Lisa (eine der beiden Halbjapanerinnen von früher), die uns mit ihrem Zirkel in Odaiba (die künstliche Insel, auf der wir uns Befinden) zum Essen einlädt. Den Treffpunkt zu finden, gestaltet sich jedoch schwierig, da Britt mir alle 20 Meter halb, und alle 100 Meter ganz verloren geht. Diese Frau wird einfach von allem abgelenkt ;)
Doch irgendwann ist es geschafft und wir machen uns auf ins Restaurant. Und was für eins! Ein All you can eat Buffet mit Schokoladenbraunen. Schokoladenbrunnen!!! Als wir uns also hinsetzen und bereit sind, das Buffet zu entern, wird mir klar, dass ich seit heute Morgen halb 6 nichts mehr gegessen oder getrunken habe. Also lebt mein Körper seit circa 12 Stunden von einer Banane und einem Glas Wasser.
Doch bevor mir meine Mum die Leviten liest, das habe ich schließlich nicht ohne Grund getan. Die Toilettensituation in und um die Messe ist einfach so grausig, dass man unter ein bis zwei Stunden anstehen nirgendwo an eine Toilette rankommt, und in der Schlange am Eingang durfte ich meinen Platz schließlich auch nicht verlassen. Also haue ich bei diesem Buffet rein, was das Zeug hält. Mmmmmm Schokolade…. ^.^y
Unsere Gruppe ist übrigens wirklich außergewöhnlich. Lisa, die Halbjapanern, 4 gestandene Office Ladies in ihren 40gern, die seit knapp 25 Jahren jedes Jahr die Comiket besuchen und Dôjinshi zeichnen, und wir zwei Deutschen. Wir bekommen die Geschichte der Comiket erzählt, und erfahren, was sich in den letzten Jahren alles geändert hat. Außerdem werden Funde verglichen und Seriendebatten geführt. Nach dem Essen besuchen wir alle gemeinsam dann noch ein Gamecenter, dass nach einem Vorbild aus den 90gern modelliert ist und machen Purikura.
Es ist jetzt 22:25 Uhr und ich sitze am Tôkyôer Hauptbahnhof, auf meinen Nachtbus wartend. Meine Füße sind platt, ich bin furchtbar müde, aber diesen wundervollen Tag werde ich so schnell nicht vergessen. Danke an Britt, die mich zwar meistens in den Wahnsinn treibt, aber ohne die ich heute bestimmt nicht so viel Spaß gehabt hätte. (Danke auch für die Tardis Socken!), und all die verrückten Japaner. Meine Funde werden später fotografiert und online gestellt ;)
Nachtrag (14:24 Uhr, Freitag): Ok, das mit der Heimfahrt war nicht so prickelnd. Nachdem ich bei der Hinfahrt zwei Sitze für mich hatte und gut schlafen konnte, saß ich diesmal neben einer Frau, die die Hälfte der Nacht gehustet hat, und mir bei jeden kleinen Bewegung ihren Ellenbogen in die Seite gerammt hat. Ich habe keine Auge zubekommen und musste deswegen zuhause erst mal ein paar Stunden Schlaf nachholen. Es gibt auch noch einen Ordner bei den Fotos, von meinem vorherigen Tag in Tôkyô. Ich war größtenteils auf der Ginza und auf der Straße für Restaurantbedarf unterwegs. (wo ich mir hätte einen Klappstuhl kaufen sollen >.<)