Am Dienstagnachmittag bin ich gleich nach dem Unterricht in Richtung Kyôto Bahnhof aufgebrochen und habe mich in den nächsten Shinkanzen geschmissen. Das hat alles ganz super funktioniert, und 2,5 Stunden später war ich in Tôkyô. Leider bin ich nun am Tôkyôer Hauptbahnhof genau zur feinsten Rush Hour angekommen. Das heißt: Eingequetscht wie eine Ölsardine in einem Schnellzug weiter nach Shinjuku und dort geschätzten 20 Leuten auf die Füße treten, bis ich überhaupt bis zur Treppe gekommen bin. Es ist inzwischen recht dunkel und ich traue mir nicht wirklich zu, meinen Weg durch ein von überall her in Neonfarben blinkendes Straßenmeer bis zum Hotel zu finden. Der Taxifahrer bringt mich und meinen Koffer dann auch gleich bis zum Hoteleingang und ich checke ohne Probleme (und ohne zusätzliche Ausländerpauschale) ein. Das Zimmer ist schön geräumig, es gibt einen Fernseher (!!!!) und ein kostenloses Modem. Was brauche ich mehr zum Glück?
Danach mache ich mich noch auf zurück in Richtung Shinjuku Bahnhof, wo ich ein nettes Fließband-Sushirestaurant finde. Als ich das erste Mal etwas gesondert bestelle, ruft der Sushimeister vor mir nur seinem Mitstreiter ein „Nihon ichiban“ (Japans Erstes) zu und beide lachen laut. Mir schwant schon übles, was sich dann auf meinem Teller auch bestätigt. Der Reis ist durchweg grün anstatt weiß. Ich nehme noch einen kräftigen Schluck grünen Tee und verzehre dann so schnell wie möglich mein Wasabi mit etwas Tunfisch. Schön ist’s, wenn der Schmerz nachlässt. Nachdem ich nun klaglos und (fast) ohne zu sterben diesen Teller verzehrt habe, bekomme ich wieder ordentliche Portionen, auf den billigsten Tellern. Das war’s doch wert.
Am Mittwochmorgen frühstücke ich in einem kleinen Cafe und finde auf dem Rückweg auch noch einen billigen Friseur, bei dem ich mir von einem (sehr sehr seeeeehr) nett aussehenden Japaner noch die Haare schneiden lasse. Danach geht es zurück zum Hotel und nachdem das Make-up und der Anzug sitzt, ab zum Vorstellungsgespräch im 12. Stock eines Hochhauses. Ich komme im richtigen Stockwerk an und stehe nicht wie erwartet vor einem Empfang, sondern vor einem einsamen kleinen Telefon. Ach, das meinten Sie also damit, ich solle am Empfang folgende Nummer anrufen. Immer noch etwas verwirrt, wähle ich die Nummer und dann kommt gleich die nächste Überraschung, Tanaka san, Personalchef, ist eine Frau. Aber… aber… der Vorname war doch männlich… Egal, sie sagt, ich solle warten und man würde mich abholen.
Nach etwas Warten (und den Reflex zu bekämpfen, bei jedem Geräusch zusammen zu zucken) kommt eine hochgewachsene Japanerin auf mich zu. Sie stellt sich als Tanaka vor, führt mich in ein anderes Wartezimmer und das Warten geht von vorn los. Diesmal wenigsten mit grünem Tee. Sie kommt schließlich wieder und erklärt, mein Interviewpartner sei noch in einer Besprechung, und deswegen würde sie nun ein erster Interview mit mir führen. Sie versucht, denke ich, das Gespräch einfach zu starten und fragt mich, wo in Tôkyô ich denn wohnen würde. Nach meiner Erklärung, ich sei von Kyôto aus hergekommen, ist sie nun ihrerseits verwirrt und entschuldigt sich reichhaltig für das Missverständnis und meine Unannehmlichkeiten. Ich versuche die Wogen so gut es geht zu glätten.
Als nächstes kommen die Standartfragen und sie macht sich wie verrückt Häkchen auf einem Stück Papier. Als ich dann nebenbei einfließen lasse, dass ich ja schon in Fukuoka gelebt habe, starrt sie mich ungläubig an und meint, dass hätte ihr ja garkeiner gesagt. Ich verkneife mir die Bemerkung, dass das in meiner Bewerbung stand, die sie anscheinend nicht einmal gelesen hat. Nach vielen weiteren Fragen, unter anderem, wie lange ich Arbeiten wöllte und wo, lässt sie mich schließlich wieder allein.
Einmal Warten mit Aufregung später kommt sie mit einem noch größeren Japaner zurück. Beschäftigen die hier nur Riesen? Ich meine, es ist ja für mich normal, immer die Kleinste zu sein, aber ich dachte vielleicht könnte ich hier in Japan einmal meine Kollegen überragen. Sei’s drum.
Wir setzten uns ein Besprechungszimmer und er legt sofort los. Er hat komischerweise meinen Lebenslauf vor sich liegen. Und er spricht unglaublich schnell. Während die Personalchefin betont langsam und deutlich gesprochen hat, gehen bei ihm die Worte fließend in einander über und er spricht im Gegensatz zu Tanaka san überhaupt nicht höflich sondern nur in verkürzter Form. Ich muss unglaublich aufpassen ihn erstens zu verstehen, und zweitens nicht ebenfalls in Umgangssprache abzurutschen. Oh die Versuchung ist groß.
Zunächst geht es um mein Studium und er fragt ins Detail. Als mir als erstes Freeter und Neets als Thema einfallen, dass ich bereits behandelt habe, fragt er mich gleich in den erstens 30 Sekunden nach einer persönlichen Meinung, warum es denn in Japan Freeter und Neets gäbe. Ich schlucke, überlege kurz eine Klischeeantwort nach dem Schema „Japan ist ja soooo anders als alle anderen Länder und deswegen hat es natürlich völlig eigene Probleme“ zu geben und entscheide mich dann doch für meine ehrliche Meinung. Ich erzähle ihm, dass es wohl in jeden Land so etwas wie Freeter und Neets gäbe, aber die Ursachen unterschiedlich seien. In Japan, so meine Meinung, hätten die Schüler einfach zwischen alle dem Lernen nicht genug Zeit, sich um ihre Zukunft zu kümmern und darüber nachzudenken, was sie denn später machen wollen, sodass manche nach der Schule oder dem Uniabschluss einfach nicht wissen, wohin sie wollen. Er bejaht stürmisch.
Danach prüft er meine Geschichtskenntnisse und fragt mich nach Edo und Meiji Jidai. Ich scheine alles zu seiner Zufriedenheit zu beantworten, denn er nickt und lacht und bestätigt mein Gesagtes nach jeder Antwort nochmal mit eigenen Beispielen. Schließlich erklärt er mir, was er sich alles für mich vorstellen könnte, jetzt, da er mit mir gesprochen hat und meine Japanisch Kenntnisse einschätzen kann. Anscheinend soll ich erstens ihn darin unterstützen, die Marke der Firma nicht nur bei Kunden, sondern auch bei den Mitarbeitern mit einem Image zu füllen. Das Gleiche soll mit dem Prädikat „aus Deutschland“ passieren. Und er möchte mich mit in die Produktionsstätten nehmen, um auch den Mitarbeitern dort besser vermitteln zu können, dass sie für ein deutsches Unternehmen arbeiten. Ich bin mir zwar nicht sicher, wie ich da als „Vorzeige Deutsche“ eingesetzt werden soll, aber alles, was er erzählt, klingt super spannend. Von Medienarbeit über internes und externes Marketing, das sind alles Sachen, die ich gerne tun würde aber mir nie hätte träumen lassen, dass sie mir das wirklich „anbieten“, wenn man so will.
Im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich zu viel geredet habe, wie viele Fehler ich gemacht habe und so weiter, aber die Gespräche verliefen eigentlich sehr positiv. Und am Ende konnte ich auch noch meine Frage nach dem Gehalt stellen und das wenigstens mal mit auf den Plan bringen. Sie wollen sich nächste Woche mit einer Entscheidung und genauen Daten melden. Ich will mir nicht zu viele Hoffnungen machen, aber es lief doch wirklich gut.
Zur Feier des überstanden Tages bin ich noch Yaki Niku essen gegangen und werde mich jetzt schlafen legen, um morgen so früh wie möglich zurück nach Kyôto zu kommen.
Ist doch super gelaufen, also freu dich einfach und plag dich nicht gleich wieder mit Zweifeln an deiner guten Vorstellung herum. Du warst (bzw. bist) gut Punkt!
AntwortenLöschenEin einsames Telefon? Das hat ja schon Potential für einen Horrorfilm! Sehr skurril...
AntwortenLöschenMach dir mal nicht so viele Sorgen. Wenn sie wirklich einen Vorzeige-Deutschen wollen, der auch noch ordentliches Japanisch spricht, dann schrumpft deren Auswahl ziemlich. Du hast also garantiert Chancen mindestens in die engere Auswahl zu kommen und wenn du mit deinen Fähigkeiten kein Gehalt verlangen (oder bekommen) würdest, dann wäre da was faul. Ich weiß nicht, ob es in Japan einen Mindestlohn gibt, aber unbezahlte Praktika sind jedenfalls sehr unüblich (mittlerweile glaube ich, dass die fast nur in Deutschland üblich sind).
Wenn die also jetzt nicht noch einen N1 Deutschen mit jahrelanger Berufserfahrung aus dem Ärmel zücken, dann stehen deine Chancen gut. Außerdem bist du für die wahrscheinlich billiger als der Ärmelassdeutsche.
Hey das klingt ja super, toll gemacht!
AntwortenLöschenund das mit dem Telefon ist echt abgefahren.
Achja:
"noch die Haare schneiden lasse", "das Make-up und der Anzug sitzt" -> Pics or it didn’t happen! ;-)
gerne auch von dem Friseur...