Es ist offiziell. Wenn ich mir noch mal zu viele Sorgen um die Zukunft oder ein bestimmtes Event im Speziellen mache, soll man mich bitte an diesen Tag erinnern. Es ist unglaublich.
Zunächst ist erstmal alles schief gelaufen, was nur schief laufen konnte. Ich wollte mir heute einen Kimono ausleihen und dann zusammen mit einer Freundin gute Fotos machen. Zunächst sagt der Wetterbericht Regen für den späten Nachmittag an, dann liegt besagte Freundin plötzlich mit Fieber im Bett und keiner scheint sonst Zeit zu haben, mir auszuhelfen. Ich bin bedient. Daran kann zunächst auch der *hust* nette Japaner nichts ändern, den ich für meinen Konversationskurs interviewen muss.
Aber es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich gehe alleine und sehe was passiert, oder eben nicht. Nach einigem Hin und Her schieße ich alle Zweifel in den Wind, schwinge mich aufs Rad und strampele zum wiederholten Mal in Richtung Kiyumizudera. Auf dem Weg spiele ich hundert Horrorszenarien durch. Es beginnt zu schütten, sobald ich mit dem Kimono das Haus verlasse. Die Kimono sind zu klein für mich. Die Japaner wollen mir nicht helfen, Photos zu machen. Die Japaner fangen gar an, mich zu beschimpfen, weil ich einen Kimono trage oder lachen über mich. Der letzte Gedanke ist besonders beängstigend und ich spiele kurz mit dem Gedanken, einfach ein Studiophoto machen zu lassen und mich dann sofort wieder umzuziehen. Aber das wäre zu viel Aufwand und Geld für 10 Minuten Kimono tragen. Ob es überhaupt Schuhe in meiner Größe gibt und wie weit werde ich es überhaupt in den traditionellen japanischen Geta schaffen zu watscheln, bevor mir meine Füße abfallen?
All das und noch mehr stelle ich mir vor, als ich einen Schwarzen Kimono auswähle, meine Sachen loswerde, eingeschnürt und schließlich auch frisiert werde. Meine Haarstylistin ist ganz glücklich und erzählt stolz, dass sie bei Schere, Stein, Papier gewonnen hat und jetzt meine Haare frisieren darf. Und wie schön gesund meine Haare doch wären und sucht mir auch noch ein Schmuckteil für die Haare aus, das eigentlich extra kostet. Die Socken und überraschenderweise auch die Geta (japanische Sandalen, wie Flip Flops bloß mit umgedrehtem Absatz) passen wie angegossen. Außerdem bekomme ich eine zum Kimono passende Handtasche für meinen Trip nach draußen.
Jetzt oder nie, denke ich, und stürze mich mutig ins Gedränge den Berg weiter hinauf zum Schrein. Viele Leute starren, einige zeigen mit dem Finger und rufen sich irgendetwas zu, was ich nicht genau verstehe. Zunächst scheint sich meine Angst wirklich zu bewahrheiten. Doch der Kimono ist erstaunlich bequem, die Schrittweite ungewohnt aber irgendwie fühle ich mich entgegen besserem Wissens wirklich Japanisch.
Dann frage ich die ersten Schreinbesucher, ob sie ein Photo für mich machen können. Sie willigen sofort begeistert ein. Ein paar Meter weiter werde ich dann plötzlich von einer Gruppe Schüler eingekreist. Sie wollen ein Photo mit mir machen. Ich denke mir nichts dabei und posiere mit strahlenden Kindern, während meine, ihre und die Kameras von anderen Leuten vor sich hinknipsen. Das scheint den Damm zu brechen und plötzlich bin ich umringt von einer Traube Leute, die mit mir Photos machen wollen. Schön zu sehen an der Bilderserie vor dem Schreineingang. Danach gibt es kein Problem mehr, jemanden für Photos zu finden. Ich kriege Aufnahmen überall und soll meist danach noch mit meinen Photographen posieren. Egal ob Schüler, ältere oder jüngere Japaner oder andere Ausländer, langsam habe ich schon fast Blitze in den Augen.
Aber auch abgesehen von den Photographen, so viele Leute begutachten meinen Kimono und kommen auf mich zu um mir zu sagen, wie gut er mir stehen würde und wie hübsch ich aussehen würde. Das stärkt doch mal das Selbstbewusstsein. Ich habe heute so viele unterschiedliche Menschen kennengelernt und auch noch etwas verstanden: Ausländer werden für Japaner viel ansprechbarer und weniger furchteinflößend im Kimono. Ich wurde jedes Mal auf Japanisch angesprochen, was mir auch noch nie passiert ist.
Den Pokal für die lustigste Reaktion bekommt aber der ältere Herr auf einem der Photos, der mich zunächst nur von hinten gesehen hat und anscheinend für eine Japanerin hielt. Als er dann an mir vorbei ging und mich aus dem Augenwinkel sah, drehte er sich einmal kurz um, ging ein paar Schritte, drehte sich wieder um, ging ein paar Schritte, blieb stehen, drehte sich um und wartete auf mich, um nach einem Photo zu fragen. Ich musste mich zusammenreißen, nicht zu lachen.
Es war eine unglaublich tolle und wohltuende Erfahrung, auch wenn ich nach 4 Stunden im Kimono wirklich mit letzter Kraft zurück zum Geschäft humpelte. Mein Selbstwertgefühl ist temporär irgendwo auf Wolke 7, die Welt ist rosarot und ich bin völlig platt. Aber ich würde alles noch einmal ganz genau so machen.
Sehr schöne Fotos, der junge Mann in dem klassischen Gewand hat ja genau solche Schuhe an wie du! Tragen auch die Männer solche Schuhe?
AntwortenLöschenEin Tempel ist auch wirklich die beste Kulisse für einen Kimono. Als westliches Mädchen bin ich immer ein bisschen neidisch auf die Japanerinnen, denen der Kimono so viel besser steht.
AntwortenLöschenSehr schick dein Kimono!