Manchmal bin ich über meine eigene Selbstüberschätzung erstaunt. Da meine Vorlesung heute schon mittags zu Ende sind, habe ich mir vorgenommen, heute zur Kiyomizudera zu fahren. Auf der Karte sieht der Weg von der Uni bis zum Tempel zwar schon etwas weit aus, aber Kyôto ist schließlich ebenerdig. Wie schlimm kann das schon werden? Es stellt sich heraus, Kyôto ist „größtenteils“ ebenerdig, und der Tempel wurde in den Berg gebaut. Das heißt für mich? Nach der Hälfte der Strecke stetig ansteigende Straße, und nachdem ich mein Fahrrad zurückgelassen habe, sogar steile Bergstraße bis hinauf zum Tempel.
Wenn man einmal von der Schlange an Autos absieht, die sich als Blechlavine in Richtung „Tal“ schleppt, ist auch der Weg hinauf zum Tempel wirklich malerisch. Tausend kleine Gässchen, die einen vom rechten Weg abbringen wollen und hier und da kleine Schilder, die von versteckten Läden in den Seitenstraßen schwärmen. Aber zunächst will ich den Tempel sehen und lasse mich nicht zu Einkäufen verleiten, die ich dann den ganzen Weg hinauf und wieder runter schleppen muss.
Nachdem die Straße sich noch einmal verengt, sodass nun wirklich kein einzelnes Auto mehr durch passt, gehört der Asphalt ganz den Tempelbesuchern. Und das sind verdammt viele. Schließlich bekommt man hier nicht nur eine tolle Aussicht, alte Gebäude und einzigartige Andenken, sondern quasi auch 3 Gebete zum Preis von einem. Der Tempel ist ziemlich alt und gehört zu den wichtigsten in Kyôto, außerdem ist er dem Erfolg von Firmen jeder Art geweiht und dient zu guter Letzt als Gebetsort für schulischen Erfolg. Da ist was für die gesamte Familie dabei. Oma trinkt das heilende Wasser aus der tempeleignen Quelle, Sohnemann läuft durch das nachtschwarze Labyrinth unterhalb des Tempels und bekommt danach ein Mamori in Form eines japanischen Schulranzens und Papa betet für seine Firma. Was heißt, dass der Trip von den Steuern abgesetzt werden kann. Am Ende sind alle glücklich.
Doch bevor man zu den eigentlichen Tempelanlagen kommt, geht es noch besagte Straßen weiter hinauf. Dort reiht sich natürlich ein Souveniergeschäft an das andere. Und alle haben nicht nur die gleiche Auswahl, sondern auch die gleichen, gesalzenen Preise. Zunächst habe ich die Hoffnung, dass die Geschäfte entweder bergauf, oder bergab billiger werden könnten, doch das bewahrheitet sich natürlich nicht. Also schiebe ich mich mit Massen an Schülern, Ausländern, Familien, Betriebsausflüglern und Rentnern kontinuierlich den Berg hinauf.
Die Tempelanlagen selbst sind wie bereits erwähnt malerisch. Nur manchmal stört ein armer Mönch das Bild, der irgendwo versucht schämisch ein Tori oder ein Pagodendach neu anzustreichen. Am ersten großen Tempelgebäude angekommen, will ich mich schon über falsche Auskünfte und geldgierige Mönche aufregen. Der Tempel sollte doch kostenlos sein! Warum soll ich dann jetzt 100 Yen bezahlen, um in ein tiefes Loch zu steigen. Aber gut, wenigstens überreicht mir der schelmisch lächelnde Mönch einen Beutel für meine Schuhe und gibt mir noch schnell den Hinweis, meine linke Hand immer an der Wand zu lassen. Also wirklich, ich bin vielleicht kein Japaner, aber Treppen steigen werde ich wohl noch hinkriegen!
Halt, wer hat denn jetzt das Licht ausgemacht? Kaum auf der letzten Stufe angekommen, sehe ich den schwarzen Haarschopf meiner Vorgängerin im dunklen Nichts verschwinden. Ok, kann ich mir das bitte nochmal überlegen? Das Eintrittsgeld könnt ihr auch behalten, aber… Doch da schieben hinter mir schon ein paar halbstarke Japaner nach und amüsieren sich in Japanisch, dass diese blonde Ausländerin vor ihnen doch wohl nicht kneifen will. Na warte, so haben wir nicht gewettet! Aber wenn ich danach auch noch eine einzige Spinne in meinem Haar finde, werde ich diesem Mönch ein paar Takte in Japanisch erzählen! Also stürze ich mich mutig in das nachtschwarze Labyrinth. Nach wenigen Metern kann ich die Hand vor Augen nicht mehr sehen und werde nur durch gelegentliches Zusammenstoßen mit einem Haarschopf vor mir oder einer nicht ganz zufälligen Hand hinter mir an die anderen Teilnehmer dieser Tour erinnert. Oh, und durch die Stimme einer grässlich lauten Amerikanerin, die aller paar Meter ein „Oh my gosh!“ oder „I can’t see anything!“ ausstößt. In der Mitte des Labyrinths kommen wir an einem spärlich beleuchteten Stein an, der auf einer Drehscheibe sitzt und von uns mit einem Wunsch und Gebet „angeschoben“ werden soll. Ja, klar: Alle legen auch nur ganz sanft die Hand auf den Stein und die Bewegung kommt ganz allein durch das Gebet. Aber lustig ist es trotzdem. Als ich dann endlich wieder im Freien stehe und in meine Schuhe schlüpfe, erklärt mir der Mönch vom Anfang bereitwillig, was das jetzt eigentlich sollte. Anscheinend symbolisiert die Tempelanlage den Leib Buddhas, in dessen Mitte sein Zentrum und damit seine Macht liegt. Also läuft man praktisch von unter dem Gebäude durch seine inneren Organe, bis man auf sein Zentrum stößt, einen Wunsch abgibt und dann gereinigt aus seinem Körper herauskommt. Deswegen muss es dadrin auch stockdunkel sein. Wenn ich so darüber nachdenke, wo man denn da durchmuss, wenn man sich zum „Zentrum“ des Buddha durchkämpft, weiß ich zwar nicht, ob man das „Reinigung“ nennen kann, aber wir glauben mal dem lächelnden Mönch mit der Gebetskette.
Ein besonderes Highlight der Tour ist die hölzerne Terrasse, die bereits zu lange da steht, als dass ich mich wirklich Wohl bei der Überquerung fühlen könnte. Über die Brüstung kann man über den Berg hinweg bis nach Kyôto schauen, oder, wenn man sich wie ich den Spaß verderben will, direkt nach unten auf den ameisengroßen Menschen am Fuße der Terrasse. Somit bleibe ich ab da immer schön nahe an der Tempelmauer. Stein ist dicker als Holz, oder so. Dadurch fallen mir die speziellen Mamori der Kiyomizudera ins Auge. Normalerweise sind die Mamori für gutes Lernen echt langweilig. Weiß mit kleiner Schrift und kaum Schmuck, wahrscheinlich, damit sich die Schüler in der Prüfung nicht davon ablenken lassen. Doch hier sind sie wie japanische Schulranzen geformt, unglaublich süß komplett mit Mimi Reisverschluss und Trägern. Außerdem kann ich nun auch den Gott für geschäftlichen Erfolg und Reichtum bestaunen. Einen schwarzen Buddha mit einer großen Nase, der einen Sack über der Schulter trägt. Ich blinzele einmal, zweimal, viele Male, und fühle mich irgendwie diskriminiert, ohne den Grund wirklich zu kennen. Aber gut, jedem Volk seine Götter und jedem Japaner sein (Feind)Vorbild.
Danach führt mich der Weg durch die Berglandschaft und ich schieße entschieden zu viele Bilder von einsamen Pfaden und dichtem Grün. Aber was soll ich sagen? Es schaut immer soooo schön aus.
Der Weg geht in einer großen Runde halb über den Berg und kommt dann zum Tempel zurück. Dort stehen Japaner aller Altersklassen brav in einer Schlange. Worauf sie warten? Keine Ahnung, aber meistens lohnt es sich, sich einfach mal mit einzureihen. Vor allem, da ich aus der Ferne eine riesige Reisegruppe anrollen sehe. Zwei nette Japanerinnen hinter mir erklären mir dann freundlicherweise, dass man hier aus der Quelle des Tempels heilendes Wasser trinken kann. Ob das auch gegen meine nahende Erkältung hilft? Wir werden es gleich mal ausprobieren. Zusätzlich erstehe ich für ein paar Yen einen Kiyomizudera Becher, der golden glänzt und außerdem echt stabil ist.
Der Weg geht in einer großen Runde halb über den Berg und kommt dann zum Tempel zurück. Dort stehen Japaner aller Altersklassen brav in einer Schlange. Worauf sie warten? Keine Ahnung, aber meistens lohnt es sich, sich einfach mal mit einzureihen. Vor allem, da ich aus der Ferne eine riesige Reisegruppe anrollen sehe. Zwei nette Japanerinnen hinter mir erklären mir dann freundlicherweise, dass man hier aus der Quelle des Tempels heilendes Wasser trinken kann. Ob das auch gegen meine nahende Erkältung hilft? Wir werden es gleich mal ausprobieren. Zusätzlich erstehe ich für ein paar Yen einen Kiyomizudera Becher, der golden glänzt und außerdem echt stabil ist.
Auf meinem weiteren Weg durch die Umgebung bekomme ich zu spüren, wie sehr ein einzelner Ausländer im Gedränge der Reisegruppen auffällt. An jeder traditionellen „Photomotiv“ Stelle kommt irgendeine freundliche Japanerin/irgendein freundlicher Japaner auf mich zu und schlägt vor, ein Foto für mich zu machen. Aber ich will doch garnicht auf das Photo, die Landschaft ist doch viel schöner ohne… ok, ok ich stell mich ja schon hin. Aber, es ist auf jeden Fall sehr nett und ich habe immer wieder die Möglichkeit mit den unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch zu kommen. Ein weiteres Plus? Die meisten haben mich von Anfang an in Japanisch angesprochen.
Eine besonders lustige Begegnung hatte ich aber mit einem Grundschüler, der neben mir in der Schlange zum nächsten Tempelgelände wartete. Zunächst schaute er mich ganz intensiv an und schien über irgendwas nachzudenken. Dann anscheinend der Geistesblitz! Mit einem strahlenden Lächeln plärrt er mir ein „Hello“ entgegen. Ich lächele kurz anerkennend, und antworte ihm dann mit „Konnichi wa“. Er reißt die Augen auf, rennt zu seiner Lehrerin und zieht sie zu mir. Danach beginnt er unentwegt auf sie einzureden. Ich verstehe nicht alles, aber die Grundessenz ist wohl folgende: „Die da hat Konnichi wa gesagt. Auf *Japanisch*. Ich schwöre, die hat gerade Japanisch geredet. Wirklich. Ich hab Hello gesagt, und sie sagt Konnichi wa. Wie geht das?“ Der Lehrerin ist das anscheinend extrem peinlich und zieht den verwirrten Jungen schnell außer Hörweite. Tja, völlige Verunsicherung von Grundschülern. Nur eines meine vielen Talente!
Auf dem Rückweg nach unten schaue ich mir natürlich ausgiebig die Souveniergeschäfte an. Mit knurrendem Magen versuche ich schon, nach einem nicht ganz so überteuerten Restaurant Ausschau zu halten, doch dann entdecke ich eine viel günstige Methode der Sättung. Gratisproben! Ich weiß nicht, welcher gute Samariter den Verkäufern der Süßigkeiten und Gebäcke auf dem Weg klar gemacht hat, dass man alles in ihrem Shop probieren können muss, aber ich bin ihm ewig dankbar. So kreise ich durch alle Süßigkeitengeschäfte, schlemme mich einmal durch die Auslage und verlasse dann unschuldig pfeifend den Laden für das nächste Geschäft. Einige der Süßigkeiten werde ich mir auf jeden Fall später kaufen, aber bestimmt nicht hier.
Abseits der Hauptstraße finde ich dann aber noch einen wunderschönen Laden mit handgemachter Keramik, ein Familiengeschäft mit hübschen Figuren zu annehmbaren Preisen. … Mehr sage ich dazu mal lieber nicht. Der Weg zurück ist dann anstrengend, aber schließlich bin ich inzwischen seit knapp 6 Stunden konstant entweder auf dem Rad oder zu Fuß unterwegs. Da wird man wohl mal etwas fertig sein dürfen.
War im Kyomizu nicht auch dieser Schrein für Liebende, wo man mit geschlossenen Augen von einem Stein zum anderen laufen muss? Ich kann das aber auch durcheinander bringen, bei all den Tempeln in Japan. Da gab es noch so einen Hasentempel, wenn ich mich recht erinnere....
AntwortenLöschenDanke für den ausführlichen Bericht, der sehr interessant ist und bei dem wir auch mehrmals geschmunzelt haben. Zusammen mit den vielen schönen Bildern konnten wir dich in Gedanken auf deinem Ausflug begleiten. Ich finde vor allen die Detailaufnahmen und die Bilder gut, die die Menschen zeigen, die in den Tempel kommen und was sie machen.
AntwortenLöschen