Tod. Ehrlich und ohne jede Übertreibung tot. Meine Füße sind kaputt, mein Kopf auch. Und jetzt ist Wochenende. Na wenigstens etwas. Als erstes komme ich am Morgen in die wundervolle Rush Hour. Und diesmal ist es wirklich hässlich. Bereits bei der einfahrenden U-Bahn kleben die Leute mit den Gesichtern an der Fensterscheibe, weil wirklich kein Platz für einen halben Schritt zurück ist. Und dann gibt es da noch die zwanzig Neueinsteiger pro Tür, inklusive mir, und zwei lächelnde Bahnangestellte mit weißen Handschuhen. Und dann wird gestopft. Ich bin relativ weit vorn in der Reihe, sodass ich davon nur in Form von Ellenbogen und anderen Körperteilen in meinem Rücken etwas mitkriege. Die Bahnfahrt ist entsprechend entspannend. Wirklich, ich konnte die Nasenhaare meines Nebenmannes zählen. Und es waren viele >.<.
Irgendwann komme ich also im Büro an. Ich bezwinge das Eingangs Key Card Schloss, kann sogar meine Zeit Code Karte richtig einstellen und sinke schließlich schon leicht außer Atem auf meinem Platz zusammen. Kaum sitzend, darf ich gleich wieder aufstehen und mich zu jeden Mitarbeiter um mich rum verbeugen (wir erinnern uns, Großraum ohne Trennwände), die mir alle einzeln Hallo sagen und ihre Karte überreichen. Und ich überreiche meine zurück.
Als nächstes bekomme ich per Mail eine Einladung zum Meeting, und werde von meinem Kollegen zur Selbstvorstellung aufgefordert. Vor der gesamten Belegschaft. Auf die harte Tour. Also tingeln wir durch das Großraumbüro, und bei jeder Gruppe von etwa 4 Leuten halten wir an, ich verbeuge mich, stelle mich vor, verbeuge mich nochmal, und betreibe Smalltalk. Spätestens nach dem zehnten Mal bin ich es leid. Und die Namen kann ich mir ja sowieso nicht merken.
Das Meeting ist das eigentlich eine Vorbereitung auf ein richtiges Meeting, zu dem ich am Nachmittag mitkommen soll. Ich darf über diese Dinge nicht wirklich viel schreiben (Geheimniswahrungserklärung musste ich am ersten Tag unterschreiben. Schön japanisch), aber es geht um ein neu zu errichtendes Gebäude als Spende. Und nun kommt der Hit. Ich sehe mich schon das ganze vollgeschriebene Whiteboard kopieren, da drückt mein Kollege auf einen Knopf, und DIE TAFEL druckt mir eine PAPIERKOPIE aus. In A4. Ich bin völlig von den Socken, während mein Kollege nur mit den Schultern zuckt. Das sei nichts neues. Ich verlange, dass diese Tafeln überall in der Uni aufgestellt werden. Das ist doch genial!
Außerdem mache ich immer wieder Bekanntschaft mit einer getarnten Stufe im Eingangsbereich, die mir fast jedes Mal der Länge nach auf die Nase legen möchte. Japanische Büros sind gemeingefährlich! Meine weiteren Aufgaben sind einige kleinere Übersetzungen und Reports in Japanisch, die ich relativ gut über die Bühne kriege. Einige Paragraphen müssen sogar überhaupt nicht korrigiert werden. Über die anderen reden wir einfach nicht! Aber gut ist es trotzdem, man lernt ja schließlich nur aus den Fehlern, die man mindestens einmal macht.
Einige der Mitarbeiterinnen haben außerdem im Internet einen Wochenendplan erstellt, damit ich auch ja kein Schreinfest der Umgebung verpasse. Sie sind wirklich nett, haben mir Karten, Zeitpläne und Infos ausgedruckt, alles in Japanisch. Leider soll es ja morgen regnen, aber auch für nächstes Wochenende habe ich bereits eine Verabredung mit anderen Mitarbeitern. Es wird sich um mich gekümmert, und das ohne, dass ich weinend in der Ecke sitzen muss.
Das Meeting am Nachmittag ist wirklich Urjapanisch und vor allem sehr aufschlussreich, was japanische Geschäftspraktiken angeht. Zehn Leute sitzen uns gegenüber, und nur eine Japanerin von der anderen Seite redet. Nur eine einzige. Die anderen sitzen da und dürfen nur Grunzen (ergo ihre Zustimmung bekunden) Und, als es ein unvorhergesehenes Problem gibt (ein Zeitplan ist eigentlich unmöglich einzuhalten), wird geschwiegen. Ich übertreibe hier nicht, für mehrere Minuten herrscht eine Totenstille im Raum, bis unsere Seite von sich aus die Problemlösung der anderen Seite anbieten muss. Dann wird wieder geschwiegen. Und auf die nächste Sitzung vertagt. Und sich freundlich verabschiedet mit dem guten Gefühl, dass mit der Anstrengung aller (wir erinnern uns, zwei Leute reden bestenfalls, alle anderen schweigen permanent) das Treffen so gut gelaufen ist.
Mein Kollege nimmt mich danach nochmal zur Seite und erklärt mir, dass dies ein sehr typischer Ablauf ist. Und normalerweise in dem Sinne vermieden wird, als dass VOR der Besprechung sich die Vertreter beider Parteien in einem Telefongespräch verständigen, und dann das „Meeting“ nur noch der Gesichtswahrung dient. In diesem und anderen Geschäftsumfeldern werden Entscheidungen ganzer Firmen meist zwischen zwei Personen, im Privaten, entschieden.
Eine andere Sache, die ich heute lerne, ist das Verhältnis japanischer Firmen zu CSR, in Deutschland „Soziale Verantwortung“ von Firmen genannt. Während in Deutschland die Firmen an sich kein Problem haben, mit ihren Hilfen an die Öffentlichkeit zu gehen und damit Werbung für sich zu machen, ist das in Japan eher verpönt. Man hilft, und redet nicht drüber. Und das zweite Problem, man hilft, weil es als gut „angesehen“ wird, nicht weil es gut „ist“. Eine ziemliche Zwickmühle, aus der sich vor allem die PR Leute in Japan irgendwie heraus navigieren müssen. Ich bin jedenfalls schon ganz verwirrt, aber auch glücklich, dass mich meine Kollegen zu sowas mitnehmen und mir bei Fragen wirklich Rede und Antwort stehen. Die beiden haben keinen einfachen Job, aber wenigstens bei alledem den Humor noch nicht verloren.
Und gerade geht das Licht aus. Im ganzen Haus. Aber NUR in unserem Haus. Na super! Erst jetzt wird mir klar, wie verwinkelt und dunkel unsere Wohnung wirklich ist. Nur knapp ein Viertel aller Räume besitzt überhaupt ein Fenster. Ich stolpere also mit meinem Handylicht durch völlig dunkle Gänge und Treppenhäuser (jetzt nur nicht an die ganzen Spukgeschichten und Horrorfilme denken, die genau so angefangen haben) und mache zusammen mit dem Russen unseren Stromkasten ausfindig. Leider ist mein russischer Mitbewohner nicht wirklich technisch versiert, sodass es an mir hängen bleibt, den Stromkasten zu öffnen und die Sicherungen zu begutachten. Also wirklich, ich bin ja kein technisches Genie, aber einen Sicherungskasten zu bedienen, ist nun wirklich keine Abituraufgabe. Wenn einer von den lustigen Schaltern nach unten zeigt, und alle anderen nach oben, dann macht es einmal klack, und der Strom ist wieder da. Mein russischer Mitbewohner schaut mich an wie ein Auto, aber ich bin zu müde, um mich über ihn zu amüsieren. Ich gehe jetzt ins Bett. Schlaft alle schön.
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