Donnerstag, 22. März 2012


Heute werde ich zur Schauspielerin umfunktioniert. Eine japanische Firma, an der wir übrigens nur 50% Anteile haben, möchte nämlich einen neuen Imagefilm drehen. Und international wie weltoffen will sich natürlich jede Firma präsentieren. Dafür benötigt man aber mindestens einen Alibi-Ausländer. Dumm nur, wenn die Firma keinen hat. Also borgt man sich einfach die Praktikantin aus der Nachbarfirma. So gehöre ich also für den Vormittag ganz unverbindlich zu einer Firma, die irgendwelche Gummiprodukte und künstliche Prothesen aus PEEK herstellt. Und dafür muss ich arbeiten. Mit wildfremden Leuten am Tisch sitzen und Konversation betreiben, Pseudopräsentationen geben, Hände schütteln, angestrengt in ein Gespräch vertieft durch die Gänge laufen (und dabei NICHT die Kamera über den Haufen rennen) und in einem völlig unbekannten Büro arbeiten. Wenigstens sind die Leute freundlich. Der Chef ist sogar ziemlich witzig. Vor unserem gefilmten Händeschütteln, fordert er mich zu einem Wettstreit heraus, wer den anderen eher zum Lachen bringen kann. Ich gewinne, und kann danach nicht mehr aufhören zu grinsen. Er ist auch recht flapsig zu seinen Mitarbeitern. Einem (augenscheinlich noch jungen) Bürohengst, der ebenfalls vor die Kamera muss, raunt er kurz vor Beginn noch zu: „In fünf Jahren werden Leute dieses Video sehen, und sich fragen, wer ist denn der Punk mit den gegeelten Haaren?“

Danach geht es auf zu einer Messe für pharmazeutische Produkte oder Hilfsmittel, im Tôkyô Big Sight. Wir erinnern uns, der Veranstaltungsort auch für die Comiket. Ich bin völlig baff, wie groß alles aussieht, wenn nicht gerade abertausende von Menschen durch die Hallen pilgern. Ein paar Photos kommen morgen, wenn ich meinen USB Stick zurückbekomme. Doch dann will ich schon fast weinen. Zeitgleich mit der Pharmamesse, genau in den gegenüberliegenden Hallen, findet die Anime Trade Fair statt. Das einzige, was mich davon abgehalten hat, auf der Stelle meine Kollegen zugunsten von Anime und Games zurückzulassen, war, dass heute nur die Fachbesucher reindurften. Ob ich von meiner Firma aus als Fachbesucher durchgehen würde? Egal, wir machen uns jedenfalls schnell auf den Weg zu unserem Stand. Ich unterhalte mich entspannt mit dem Personal vor Ort, und streife schließlich mit meiner Kollegin durch die Halle.

Es gibt eine Art Schatzsuche, bei der man 3 Stempel finden muss, und dann das gestempelte Papier für eine Preisverlosung abgeben kann. Die wissen schon, dass sonst kaum einer lange bleiben würde.

Aber meine Kollegen tun mir trotzdem leid. Die Zentrale in Deutschland macht die Regeln, das versteht man ja noch einigermaßen. Aber wenn diese Regeln eben in einem anderen Land dazu führen, das ein Stand nicht ernst genommen wird, kann das ja keinem was nützen. Stände bei den Messen, die ich bisher in Deutschland besucht habe, waren immer sehr elegant, mit wenig Schrift und vielen Bildern. Der Besucher sollte sich fragen, was das soll, und so mit dem Standpersonal ins Gespräch kommen. In Japan läuft das aber augenscheinlich ganz anders. Hier müssen die Stände vor allem seriös und fachlich versiert aussehen.

Japaner lieben (so mein Eindruck nach dem Rundgang) viele Schaubilder mit viel Schrift und Erklärung, sodass man sich ein genaues Bild machen kann, auch ohne mit dem Personal zu reden. Nun ist meine erste Eingebung, dass somit unser schlichter Stand ohne jegliche Erklärungen nur noch mehr ins Rampenlicht gerückt wird und deswegen doch genau das bewirkt, was wir wollen. Doch meine Kollegin erklärt mir, dass das Signal ganz anderes aufgenommen wird. Frei nach dem Motto: "Anders ist uns zu unsicher." Wer sich schon nicht an die Regeln der Präsentation in Japan hält, wie kann man dann wissen, dass sie sich überhaupt an irgendwelche Regeln halten und auf japanische Art Geschäfte machen wollen? Hach, ist das schwierig, alles.

Dann besuchen wir noch ein Seminar, was unser Standverantwortlicher auf der Messe hält. In der Reihe vor uns, so meine Kollegin, sitzen dabei die Mitarbeiter der Konkurrenzfirmen und schreiben fleißig mit. Manches, ist eben doch überall gleich.

1 Kommentar:

  1. Und in ein paar Jahren wird man sich trotzdem noch an die Alibiausländerin erinnern. Das sind immer meine liebsten Szenen in jeder asiatischen Serie. Wenn sie irgendeine arme Sau verdingen Amerika zu repräsentieren und weder der Ausländer noch die Japaner Englisch können und man plötzlich die japanischen Untertitel braucht, um zu verstehen was eigentlich passiert. Ach Japan!

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