Freitag, 30. September 2011

Endlich Wochenende

Und das habe ich mir auch verdient. Heute ist echt so ein Tag, der nicht schnell genug zuende sein kann. Zum Glück muss ich etwas später raus als sonst und habe nur zwei Vorlesungen. Dafür muss ich zwischen beiden einen Gesundheitscheck machen lassen (klingt kompliziert, ist aber nur eine Röntgenaufnahme). Das Problem? Der Check ist für 13 bis 14 Uhr angesetzt, jeweils Dienstags und Freitags. Dreimal darf geraten werden, wer an beiden Tagen ab 13:15 Uhr eine Vorlesung hat, bei der Anwesenheit nicht nur Pflicht ist, sondern auch zu 40% in die Note eingeht. Richtig, ich. Außerdem ist das „Health Center“ nicht mal direkt auf dem Campus. Ich opfere also meine Mittagspause, um einen der ersten Plätze zu ergattern, und schaffe es mit Hängen und Würgen kurz vor meinem Lehrer in den Raum zu sprinten. 

In der Kommunikationsklasse wird uns dann eröffnet, dass dieser Kurs zu groß für den Geschmack der Lehrerin ist, und sie deswegen jetzt die ganze Stunde mit Einzelinterviews verbringen wird, um zu entscheiden, welche Leute sie einfach mal in den Levels hoch- oder runterstufen kann. Wir sind völlig perplex und Proteste werden strikt ignoriert. Na super, das heißt, im Ernstfall kann ich mich nächste Woche in einer neuen Stufe wiederfinden, zu der ich weder das Material habe, noch wirklich wechseln will. >.< Doof das.

Aber Sorgen machen, bringt nur Falten, also werde ich jetzt erstmal das Wochenende genießen.

Donnerstag, 29. September 2011

Eine japanische Tour durch Gion

Heute schreibe ich etwas später als sonst, aber dafür gibt es auch etwas zu erzählen. Meine gestrige Volontärtätigkeit hat Früchte getragen, und mir viele Mails in meiner Inbox beschert. Außerdem ist für den Abend Großes geplant.

Vor etwa zwei Wochen hatte ich mit Emily zusammen in einer Sushibar gegessen (wir erinnern uns, es regnete in Strömen) und dort hatten wir einen netten älteren Herrn kennen gelernt, der einen Photoladen besitzt. Weil die aus Deutschland geschickten Photos eine Sondergröße haben, schickte ich ihm eine E-Mail, ob ich denn nicht einmal in seinem Laden vorbeischauen könnte. Er sagte promt, ich solle doch gegen Ladenschluss vorbeischauen, dann würde er mich hinterher zum Essen einladen.

Nun, ich kenne diesen netten Herrn ja nicht wirklich, und deswegen schleife ich Emily gleich mit. Der kleine Photoladen mitten im Ausgehviertel Gion ist eine kleine Schatzkiste, und Etsuo macht mit uns nach Ladenschluss eine kleine Führung durch das Gionviertel, die wir uns allein wohl nicht getraut hätten.

Es gibt viele tolle alte Gässchen, aber eben auch Straßen mit Bordells und speziellen „Nachtclubs“ in russischer oder philippinischer Hand. Doch Etsuo versichert uns, er hätte 30 Jahre lang Kampfsport betrieben und kenne sein Heimatviertel wie seine Westentasche. Er nimmt uns in eine Sushirestaurant mit, wo wir uns den Bauch vollschlagen, und schon ein ganz schlechtes Gewissen kriegen, weil er alles bezahlen will. Danach trinken wir noch einen Tee und plaudern während der ganzen Zeit.

Er hat an der Dôshisha Universität Jura studiert und abgeschlossen, doch musste nach dem Abschluss den Photoladen seines Vaters weiterführen. Jetzt geht es immer schlechter, und er wird ihn wohl bald aufgeben müssen. Außerdem erzählt er uns von seinen Freunden in Sendai, und ihren Erfahrungen mit dem Erdbeben.

Wir werden im Gegenzug nach europäischer Wirtschaft, Politik und Kriegen gefragt, und sind wirklich überrascht, wie interessiert und vor allem versiert er in diesen Themen ist. Es ist ein wunderschöner Abend geworden, doch ich fühle mich wirklich nicht besonders gut damit, dass er alles für uns bezahlt hat. Ich werde am Wochenende noch einmal in seinem Shop vorbeikommen, und ihm einen meiner mitgebrachten deutschen Bildbände schenken. Es wiegt nicht auf, was er heute Abend für uns getan hat, aber es ist wenigstens etwas.

Nachtrag 1: Fotos jetzt online!

Mittwoch, 28. September 2011

Ausgepowert und völlig zufrieden

Manchmal bin ich mir selbst nicht ganz sicher, wie sich um mich herum immer eins zum anderen findet. Manchmal ist das sogar ziemlich erschreckend. Die Vorlesungen heute waren gut. Zunächst die Schreibvorlesung, in der wir eine kurze Beschreibung eines Bildes geben mussten, das unser Partner dann nur anhand dieser Beschreibung zeichnen sollte. Ich hatte ein McDonalds Menü. Hat alles ganz gut geklappt, bis ich wieder mit unserem Lehrerliebling in eine Gruppe gesteckt wurde. Ich kenne ihn erst seit 4 Tagen, aber … sagen wir es mal so: Er sollte mir nicht allein in einer dunklen Gasse begegnen.

Beim nachfolgenden Grammatikkurs scheinen dann einige meine Meinung geteilt zu haben, denn plötzlich – oh Wunder – ist die erste Reihe besetzt und er muss sich leider mit einem Außenplatz begnügen. Die Stunde wird super und vor allem lustig. Unsere Lehrerin erzählt von ihrem Leben in Ôsaka und spart auch nicht mit lustigen Anekdoten von ihren Kindern. Eine andere Geschichte hat mir aber noch besser gefallen:

Anscheinend hat Bill Clinton kurz nach dem Bekanntwerden seiner Affäre einen Trip nach Japan unternommen und sich in Ôsaka einem Live TV Interview gestellt. Wahrscheinlich haben ihm seine Berater versichert, dass „die Japaner“ ja viel zu höflich wären, ihn nach seinem Privatleben zu fragen. Jedenfalls schlägt er sich wacker, und die Fragen bleiben der Erwartung entsprechend seicht. Doch dann, steht eine gutmütige alte Dame, adrett frisiert im Kimono, auf und die Kamera schwenkt zu ihr. Natürlich, alte Dame im Kimono, das macht Eindruck und Quote, denken die Kameraleute und lassen sie eine Frage stellen. Was fragt diese nette ältere Dame?

„Was haben Sie ihrer Frau erzählt, dass sie sich nicht hat von Ihnen scheiden lassen?“ Clinton wird vor laufender Live Kamera rot, fängt an zu schwitzen und stammelt irgendwas vor sich hin. Die Leute im Publikum sind geschockt, den Fernsehmachern im Studio fällt das Lächeln aus dem Gesicht und vor den Fernsehern in ganz Japan spucken prustend Leute in ihre Morgensuppe. Das Interview geht um die Welt, und die ältere Frau – anscheinend eine typische Vertreterin der Ôsaka no Obaachan – wird von internationalen Reportern interviewt. Nun muss ich diesen Clip nur noch auf Youtube finden.

Danach sitze ich mit einigen Ausländern zusammen in der Mensa und mampfe glücklich mein erstes warmes Essen diese Woche. Mit uns am Tisch sitzen zwei Japanerinnen, die etwas Ganguu-mäßig aussehen, aber sehr großes Interesse an meiner Gummibärentüte zu haben scheinen. Sofort wird ihnen ein Päckchen angeboten und wir haben einen netten Plausch. Außerdem diesmal nach langer Abstinenz wieder ein Foto. 



Danach geht es los, mit dem Fahrrad zu einem nahegelegenen Campus, wo ich mich mit der Deutschlehrerin treffen soll. Ich bin mir 100% sicher, dass sie in ihrer Mail von 1:30 und dem Haupttor des Campus gesprochen hat. Ich komme an und warte. Es wird 1:20 Uhr... es wird 1:30 Uhr... und schließlich 1:40 Uhr, als ich langsam aber sicher nervös werde. Zunächst wird nach anderen Eingängen gesucht. Doch so wirklich will sich da keiner auftun. Ich werde schließlich panisch und frage eine kleine Gruppe japanischer Studenten, ob es denn noch andere Eingänge gäbe.

Etwas perplex folge ich wenige Augenblicke später, als die gesamte Gruppe aufspringt und sich mit mir auf die Suche begibt. Wir laufen einmal rund um den Campus, inspizieren jeden noch so winzigen Eingang, doch nirgends ist ein wartender Ausländer zu sehen. Die Gruppe ist bei bester Laune, scherzt und beruhigt, während ich wirklich ein ungutes Gefühl bekomme. Wie peinlich, mein erstes Treffen, und ich bin am falschen Ort/komme zu spät. In unserem Unwissen bringen sie mich schließlich in den Computerraum, wo ich nochmal die Mail mit Uhrzeit und Ort aufrufe.
Ähm... ja... also... was soll ich sagen? Da blinkt mich plötzlich, aus heiterem Himmel und völlig gemein 14:30 Uhr als verabredete Zeit an. Ich möchte im Boden versinken und die lieben Japaner, die mir so toll und lange geholfen haben, um Verzeihung bitten. Was müssen die jetzt bloß von mir denken? Was passiert? Ich kläre die Lage kleinlaut auf, die Gruppe lacht schallend und versichert mir, dass sie eine tolle Zeit hatten, und einige verabschieden sich mit den besten Wünschen für mein „baldiges“ Treffen.

Drei Studenten bleiben zurück, und wir machen es uns im Hof gemütlich. Ich entschuldige mich noch einige Male, wir lachen gemeinsam über mein Missgeschick und kommen ins Gespräch. Alle drei studieren auf Lehramt, und einer hat in seinem Fachgebiet Geschichte sich länger mit Deutschland befasst. Ein andere lernt Französisch und das Mädchen macht sich daran meine Handy-Mail-Adresse zu kopieren. Wir lachen und die Zeit vergeht wirklich wie im Flug. Fast bin ich schon froh, wieder mal völlig verplant zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Wenn auch nur einer der heutigen Kontakte Bestand hat, dann war das doch ein voller Erfolg.

Pünktlich um 14:25 Uhr kommt die Lehrerin in den Hof. Sie heißt ebenfalls Bettina und erklärt mir, wie ihre Stunden so ablaufen. Beide Kurse sind sehr klein, zwischen 6 und 8 Studenten, die allesamt die Vorlesung freiwillig besuchen. Beides sind Konversationskurse, der eine mit Anfängern und der andere mit bereits Fortgeschrittenen.

Wir machen im Kurs eine Vorstellungsrunde, bei der mir die Studenten auf Deutsch Fragen stellen müssen. Nach dem obligatorischen: Wie heißen Sie? Sind die nächsten beiden Fragen genau folgende: Wann sind Sie nach Japan gekommen? Wann gehen Sie wieder? Ich blinzele für einem Moment, versuche mich noch höflich zurückzuhalten, doch da prustet die Lehrerin bereits los. Unverständnis von Seiten der Studenten. Erst, als ich kurz, die Dozentin lacht immer noch, die beiden Fragen in ihrer japanischen Äquivalente übersetze, können wir alle herzhaft lachen. Wir machen weiter mit einer kleinen Geschichtsstunde zur Teilung Deutschlands und ich darf mindestens vier Mal eine Deutschlandkarte an die Tafel malen. Zum Glück fragt mich keiner, die Bundesländer dazuzuschreiben.

Die nächste Gruppe ist etwas zäher. Sie sprechen besser Deutsch, einige waren bereits in Deutschland für ein Austauschjahr, aber irgendwie scheinen sie heute zu müde zu sein. Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass es jetzt bereits auf 18 Uhr zu geht und ich ebenfalls bereits seit 10 Stunden durchweg im Unterricht bin. Sie bekommen schließlich einen mündlichen Probetest, der anscheinend standardisiert ist. Ein kurzer Text spricht über ein bestimmtes Thema, dazu werden Fragen gestellt, und nach 10 Minuten Vorbereitungszeit sollen die Studenten frei zu diesen Fragen sprechen. Sie werden in Gruppen aufgeteilt und die Lehrerin gibt mir eine von beiden an die Hand. Ich soll portables Wörterbuch spielen. Nun erkläre bitte mal jemand die Phrase „wertschätzendes Miteinander zu unterstützen“ ohne Vorbereitung in einfachstem Deutsch! Ich brauche erst mal ein paar Minuten, um den Inhalt dieser leeren Worthülse zu kapieren. Wer denkt sich bitte solchen Schund aus? Irgendwie schlagen wir uns durch, und ich lerne noch ein paar nette japanische Schimpfworte nebenher.

Am Ende der Vorlesung bin ich völlig platt und ausgelaugt, aber glücklich. Mal sehen, was nächste Woche so bringt.

Dienstag, 27. September 2011

Kalte Grammatik und feurige Konversationen

Puh, diese Sprachkurse sind wirklich nichts für Weicheier. Als wir an diesem (wie vorhergesagt) stickig warmen Dienstag in unseren Klassenraum taumeln, herrscht darin eine humide Hitze, die der Außenwelt noch Konkurrenz macht. Also sind wir natürlich erstmal sehr froh, als unser Sensei beim Eintreten sofort zur Klimaanlage stürzt und diese anschmeißt. 

Was wir dabei nicht bedacht haben? Sensei trägt einen langen Wollpullover! Und wurzelt deswegen die Ventilatoren auf ihre Höchstleistung hoch. Kaum 10 Minuten später bibbert die Hälfte der Klasse, allesamt ohne Jacke, in kurzen Hosen und Tops erschienen. Die Raumtemperatur sinkt bemerkenswerter Weise auf fast 18 Grad. Machen wir uns also alle ein paar warme Gedanken. Und die Inhalte lassen meine grauen Zellen wirklich glühen. 

Grammatische Erklärungen von für mich nur ansatzweise bekannten Formulierungen, und ein Typ direkt in der ersten Reihe vor dem Dozentenpult, der Sensei zu mehr Schnelligkeit antreibt. Dieser Kerl... *grummel* *fluch* … es ist ja schön, wenn er die ganzen Sachen schon kann, oder vielmehr nicht zugeben möchte, etwas nicht zu verstehen, aber ich hätte schon gerne wenigstens die Chance, Fragen zu stellen. Doch da jede Frage nach Unverständnis seitens Senseis von unserem Lehrerpet Nummer 1 mit einem lauten „Nein!“ kommentiert wird, bleiben ich aus dieser Stunde etwas ratlos zurück. 

Und dieser unterwürfige Tonfall, den dieser Typ jedesmal anschlägt, sobald er mit Sensei redet *zisch* *brodel* *koch*. Egal, nach der Stunde beratschlage ich mit einigen anderen, dass wir uns in der nächsten Stunde nicht so einfach unterbuttern lassen werden. Natürlich ist es nicht gerade ein tolles Gefühl, zu wissen, dass man anscheinend nicht so viel versteht oder weiß wie andere im Kurs, aber ich sehe nicht ein, mich deswegen in eine stille Ecke verkriechen zu müssen. Und es geht ja zum Glück nicht bloß mir so.

Als nächstes kommt der Konversationskurs. Und ich weiß nicht recht, wie ich diese Stunde adäquat zusammenfassen soll. Vor allem, um unserer geschätzten Lehrerin Ooyama gerecht zu werden. Sie ist laut, enthusiastisch und redet ohne Punkt und Komma einfach drauf los. Was mir an ihr besonders gefällt, ist, dass sie nicht locker lässt. Und keine Angst hat, ihren Vorlesungsplan über den Haufen zu werfen, wenn sich eine andere Möglichkeit ergibt. Eigentlich sollen wir uns ja (inzwischen zum 4. Mal) vorstellen, doch so richtig sind wir dafür nicht zu begeistern. Also springt sie direkt in eine große Debatte warum Vorstellungsrunden für uns nicht lustig wären, welche Gründe es gäbe, und wer, warum nicht vor einer großen Gruppe von Menschen reden möchte. Außerdem schafft sie es spielend, jeden im Kurs zum Reden zu bringen, und mindestens einmal dran zu nehmen. Aber nie auf diese: Jetzt muss jeder was sagen- Art, sondern mit Geschick, und ohne jemanden vorzuführen. Obwohl ich mir bei ihr wirklich nicht sicher bin: Haben wir mehr Spaß an ihr oder sie mehr Spaß an uns? Einziger Wermutstropfen? Ich werde mit der Nervensäge von eben in eine Gruppe gesteckt, und er redet mit mir genauso heuchlerisch weiter. Außerdem reißt er, sobald die Lehrerin auch nur in unsere Nähe kommt, sofort das Gespräch an sich und redet lauter. >.< Ich beginne, eine leichte Antipatie zu entwickeln.

Beim Mittagessen mit Obento im Schatten des Hofes treffe ich zwei Japanerinnen, die gleich mal zu den Clubs der Uni ausgequetscht werden. Und wie der Zufall so spielt, wir quatschen eine Weile, tauschen Handynummern aus, und verabreden uns dieses Wochenende zum Karaoke. Erfolg!

Die letzte Vorlesung hat Multikulturen und Ethnische Minderheiten in Japan zum Thema. Der Professor ist Belgier und ebenfalls wirklich Feuer und Flamme für sein Thema. Er zeigt uns ohne Kommentar Bilder verschiedener Personen, alle Hautfarben und Gesichtsformen, und fragt uns dann, was diese Menschen wohl gemeinsam haben. Viele der Personen sind oft im japanischen Fernsehen zu sehen. Die Antwort: Sie alle sind im Ausland geboren, und haben jetzt die japanische Staatsbürgerschaft. Das wird eine wirklich interessante Vorlesung werden, auch wenn der Lesestoff zu jeder Sitzung ziemlich viel ist.

Nach dem Unterricht bezahle ich meine erste Stromrechnung – 2900 Yen – und bin glücklich, das jetzt auch hinter mir zu haben. Morgen geht es dann ums Ganze. Mal sehen, wie den Studenten ihr neuer deutscher Volontär gefällt. … Ich packe mal zur Bestechung Gummibären ein.

Montag, 26. September 2011

Von Katzen, Klingeln und anderen Katastrophen

Hach, ich hätte gestern eher ins Bett gehen sollen. Doch die Hausarbeit ist jetzt endlich fertig und hoffentlich bald für immer weit, weit weg aus meinen Gedanken. Morgens geht es also mit Emily in Richtung Uni, wo wir liebenswerter Weise frühmorgens immer im 4ten Stock Unterricht haben. Das ganze natürlich ohne Aufzug. In meinem Kurs sitzen bereits einige Leute, und es wird immer voller. Am Ende hocken hier 19 Ausländer aufeinander und – oh Wunder – Deutschland ist am stärksten bertreten. 4 Düsseldorfer und ich armer Frankfurter, der den Mädels erstmal Rede und Antwort stehen muss. Ja, Frankfurt kann auch Japanologie. Nein, wir wurden noch nicht geschlossen. Ja, wir haben auch Japanischunterricht. Irgendwie komme ich mir dabei ziemlich blöd vor, aber wer so komisch fragt, kriegt auch komische Antworten.

Unsere Lehrerin ist ein kleines Energiebündel aus Kôbe, die jeden Morgen mit dem Shinkansen nach Kyôto pendelt und ein riesiges, buntgemustertes Kleid trägt. Wir stellen uns alle vor, versuchen so viele japanische Sprichwörter wie nur möglich zu finden, die Katzen beinhalten und kriegen gleich unsere ersten Testtermine gesagt. Nächste Woche! Bitte was? Doch bevor wir so recht wissen, wie man auf so eine Nachricht reagieren und somit protestieren sollte, ertönt auch schon die „Klingel“.

Obwohl „Klingel“ in diesem Zusammenhang wahrscheinlich den falschen Eindruck erweckt. Das schrille, laute Kratschen eines Türbuzzers ohne Ton oder Melodie, ist eine treffendere Beschreibung, Doch was wird auf die Dauer zu lang, also arrangiere ich mich mit „Klingel“. Die nächste Stunde haben wir bei unserem Jahrgangsveranwortlichen. Er ist ein klasse Kerl mit ansteckendem Enthusiasmus und einer gehörigen Portion Humor.

Bei unserer zweiten Vorstellungsrunde gibt es einige nette Musikeinlagen und ungewöhnliche Antworten auf eigentlich harmlose Fragen. Dann werden wir erneut in Papierbergen ertränkt. Aber anscheinend müssen wir nur 3 neue Kanji pro Woche lernen, was fast schon paradiesische Zustände wären. Doch noch mehr Tests werden angekündigt, und alle gleich in den nächsten Wochen. Was soll denn das? Ich bin aber wirklich in der „Labergruppe“ gelandet. Jeder spricht schon ziemlich fließend und vor allem oft. So machen Diskussionen doch wirklich Spaß.

Mit Kyle und Enily wird ein Bento gegessen und danach geht es zu Sprachkurs Nummer 3. Leider ist der ganz anders als die beiden ersten, und wir entschließen uns nach der Stunde, ihn nicht mehr zu besuchen. Vor allem, weil wir dafür noch extra Geld bezahlen müssten. Dann setze ich mich in die Bibliothek und formatiere meine Hausarbeit fertig. Nur die Seitenzahlen stellen sich noch quer.

Als letztes, bereits nach 4 Uhr am Montag, schleppe ich mich zu einer Anime und Manga Vorlesung. Dort sitze ich zwischen unzähligen Chinesen, Koreanern und Taiwanern als einzige westliche Ausländern und fühle mich etwas verloren. Wo sind denn bitte alle geblieben? Doch schließlich betritt unser Professor den Raum: Gekleidet in Turnschuhen, Jeans, einer großen Hornbrille und Pokemon Charakteren auf dem Hemd. Muss ich noch mehr sagen? Es wird eine lustige Stunde, in der er uns eröffnet, dass wir gemeinsam einige Male das große Manga-Museum besuchen werden, er auch das Thema Yaoi nicht aussparen wird, und wir uns erstmal durch die Manga Geschichte arbeiten werden. Ich bin im Himmel. Außerdem komme ich mit einem netten Taiwaner ins Gespräch, der fast schon erschreckend viele Manga und Anime genauso beurteilt wie ich. Egal, ob die Veranstaltung erst irgendwann Montag abends ist, diese 2 Stunden sind es mir wert. Jetzt noch die ersten Hausaufgaben erledigen, und dann geht es morgen gleich weiter. Am Mittwoch fange ich dann als Volontär in der Germanistik an, wünscht mir Glück.

Samstag, 24. September 2011

Sie wollen nach Oben gehen!?


Der heutige Samstag ist wieder einmal fast vollständig für die letzte Hausarbeit draufgegangen. Hoffen wir mal, dass die morgen spätestens Geschichte sein wird, Eine Meisterleistung wird sie aber wohl auf keinen Fall.

Am Abend machen sich Emily und ich auf zur Shijo dori und einer kleinen Gasse angrenzend an das Gion Viertel mit traditionellen Gaststädten. Wir schleichen dreimal hin und her, kundschaften auch die Neben-Nebenstraßen aus und landen schließlich in einem kleinen Restaurant, das auf der Karte mit Yakiniku wirbt.

Durch die Schiebetür – die ich natürlich erstmal versuche aufzudrücken – hindurch stehen wir in einem winzigen Raum ohne Gäste und nur 6 Plätzen. Aber, nölt Emily sogleich hinter mir, auf dem Plakat da draußen sah das doch viel größer aus. Ich gehe zu einer der Kellnerinnen und fragen nach den Räumen, vielleicht gibt es ja einen ersten Stock. „Sie wollen, in den ERSTEN Stock?“, fragt sie mich und macht dabei ein Gesicht, das irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und Ungehagen pendelt. Ich rudere sofort verschreckt zurück und wir setzen uns zunächst auf zwei Plätze in dem kleinen Raum.

Emily sagt eine Weile lang gar nichts, doch dann starrt sie mich durchdringend an. „Was ist im ERSTEN Stock? Hast du uns in ein Bordell geschleppt?“ Ich plustere mich sofort auf und weise jede Schuld von mir. Egal, was da oben ist, die Leute lachen, und … … und die Familie da draußen hat doch gesagt, sie wären schon mal hier gewesen. Das kann kein Bordell sein! Eine Weile rätseln wir und versuchen angestrengt dem Stimmengewirr über uns zu lauschen. Doch wer nicht fragt, bleibt dumm, also spreche ich die Kellnerin noch einmal an. „Was ist im ERSTEN Stock?“ Sie druckst herum, macht ein Zischgeräusch mit den Zähnen, verbeugt sich tief, und rückt schließlich mit der Sprache heraus. Sie seien voll, und wir müssten etwa 20 Minuten warten, um da oben, im normalen Gastraum, einen Tisch zu bekommen.

Emily neben mir ist sichtlich erleichtert und wir geben ihr zu verstehen, dass ein bisschen Warten für uns kein Problem ist. Das Essen selbst ist herrlich, und abgesehen von der Tatsache, dass ich beinahe die schmale Treppe runterfalle, gibt es eigentlich nichts weiter zu erzählen.

Freitag, 23. September 2011

Der Sonnenbrand hat sich gelohnt

Von wegen Herbst, von wegen kalt und alles vorbei. Mit Sonnenbrand im Gesicht und auf den Armen kann ich bestätigen, dass der Sommer in Kyôto noch lange nicht vorbei ist.

Heute fahren Emily und ich in den Norden der Stadt. Es ist nämlich einer dieser Feiertage, an denen Japaner zumeist das Wochenende verlängern und die Sehenswürdigkeiten überall zu geschäftigen Ameisenhügeln mutieren. Also verschieben wir den geplanten Trip zu bekannten Tempeln und Schreinen im Süden und Zentrum der Stadt, zugunsten des nördlichsten Zipfels unserer Landkarte.

Wenige Meter hinter unserem Wohnheim hört diese nämlich einfach auf. Also, auf ins Niemandsland! Gesagt, getan. Der Weg führt unsere Fahrräder zunächst zurück zu der kleinen Schildkrötenbrücke, die ich schon einmal besucht habe.

Durch den Taifun stehen die Steine unter Wasser, doch das scheint die meisten Japaner nicht zu stören. Außerdem probt eine Kampfkunsttruppe in der Nähe ihren Auftritt für ein Matsuri nächstes Wochenende. Die Farben, die Eleganz alles ganz wunderbar. Aber einigen der so lieb lächelnden Omis möchte ich nicht im Dunkeln mit ihrem Degen begegnen.

Weiter Flussaufwärts gelangen wir in eine wunderbar beschauliche Wohngegend. Jedes Haus sieht hier anders aus, die Gassen sind schmal und verwinkelt. Inmitten des Viertels liegt ein riesiger Park, und in dessen Herzen natürlich ein Schrein. Der Shimogamo Jinja. Genau, als wir diesen dann betreten, macht meine Kamera schlapp. Ich fluche, ich ärgere mich, und am Ende fotografiere ich weiter mit den Handy. Nicht so gut, und ohne Zoom, aber Fotos müssen schließlich sein.

Denn Feiertag bedeutet auch, dass Japaner Zeit zum Heiraten haben. Genau 3 Pärchen treffen wir mit samt ihrem Gefolge auf unserem Schreinrundgang. Eins davon – oh hört meine Worte – eine Japanerin mit einem Ausländer. Die ganzen japanischen Frauen in ihrem schicken schwarzen, bunten und natürlich weißen Kimono sind wirklich eine Augenweide. Aber, und das ist nun wirklich unfair: Nicht jede Japanerin sieht gut aus im Kimono, aber die traditionelle Hochzeitskluft der Männer lässt jeden wie einen coolen Typen aussehen. Sogar den Ausländer! Das ist doch total gemein!

Im Schrein machen wir bei einer Führung mit, weil die Gebäude ab nächste Woche restauriert werden und deswegen jetzt ein guter Zeitpunkt ist, die gesamte Umgebung in ihrer vollen Pracht zu erleben. Auf dem Weg zurück können wir noch ein wenig durch den Park schlendern, bevor es uns zurück zur Schildkrötenbrücke verschlägt.

Jetzt ist es deutlich belebter, aber immer noch nicht überfüllt, und bald wagen auch wir uns barfuß über die Brückensteine. Auf dem Weg treffen wir nicht nur kleine Kinder, sondern auch ältere Leute, welche die Abkühlung ebenfalls genießen. Im großen und ganzen ein wirklich gelungener Tag, sodass ich auch das sichtlich verbrannte Gesicht verschmerzen kann.

Donnerstag, 22. September 2011

Kontoeröffnung oder „Willkommen in der Krabbelgruppe“


Yessus es muss doch irgendwann mal aufhören zu regnen. Also, so heute wäre ein guter Zeitpunkt. Und am besten jetzt gleich, als wir Kilometer auf dem Fahrrad zurücklegen, nur um ein Bankkonto zu eröffnen.

Das muss jetzt gemacht werden, weil die in der Dôshisha das so wollen, und diesem Argument kann oder will man nun wirklich nichts entgegensetzen. Wir fahren also los, und schon wieder höre ich Emily hinter mir „Regen! Regen!“ rufen. Für eine Weile versuche ich die nassen Tropfen zu ignorieren, die langsam aber sicher meine Brille herunter rinnen. Doch irgendwann, als sich ein paar Tropfen wiedermal in Starkregen prasselnder Wassermassen verwandelt haben, gebe auch ich mich geschlagen und wir kaufen zwei „Regencapes“.

Diese Dinger sind das hässlichste, unnützeste, bedruckknopfte Stück Plastik, was mir jemals untergekommen ist. Und ich hatte als Kind Glitzerponys! Außerdem sind sie warm. Ich meine, was ist bitteschön der Sinn eines Regencapes, wenn ich schweißgebadet trotzdem völlig nass an meinem Ziel ankomme? Aber egal, wir bekommen unsere völlig sinnfreien Stempel, in die für mich ein B und ein G eingraviert wurde. Das entspricht auch wirklich viel mehr meinem Namen und ist außerdem völlig einzigartig in der ganzen weiten Welt, nicht wahr?

In der Bank geht der gesamte Zettel-ausfüll Marathon auch gleich wieder von vorne los. Zwei Zeilen schreiben, mit Stempel solange leuchtend rot zustempeln, bis die eigentliche Schrift nicht mehr lesbar ist, und wiederholen. Wenigstens ist der japanische Angestellte diesmal netter.

Er beglückwünscht uns zu unserem tollen Japanisch, nur um die nächsten 2 Stunden damit zuzubringen, alle Anweisungen in englischen Einzelwörten zu geben, um sie dann mit einem „please“ zu versehen. „Date... please“ …. „Name... please“. Aber er hat eine etwas piepsige Stimme und meint es wahrscheinlich nicht böse, also haben wir Spaß beim Ausfüllen.

Vor uns steht nun das ungewisse Warten, was in einer japanischen Behörde zwischen 2 Minuten und 4 Stunden jegliche Zeitspanne annehmen kann. Doch zum Glück kommt auch schon eine willkommene angefahren.

Sein Name ist Yoshitsu und er ist gestern ein Jahr alt geworden. Als Einjähriger fängt ja bekanntlich der Alltagsstress schon richtig an. So muss man Mutter und Oma zur Bank schleifen, und dort dann auch noch endlos lange auf irgendwelche Überweisungen warten. Also fängt man an, auf wackligen Beinen und mit einer bemerkenswerten Standhaftigkeit den eigenen Kinderwagen durch die Bank zu schieben. Es rostet schließlich, wer rastet.

So wie Mama, die sich irgendwann völlig fertig auf eines der Sitzmöbel fallen lässt, während Oma mit viel Trahra wahlweise vor, hinter, oder neben dem Kinderwagen herrennt. Doch dann fällt Yoshitsus Blick auf zwei äußerst komische Gestalten. Sogleich wird der Kinderwagen angehalten, und Mama die unglaubliche Neuigkeit mitgeteilt:

„Mama, deren Haar brennt!“

Mama ist natürlich nicht besonders angetan von dieser Beobachtung, denn ich sitze direkt neben ihr und sie entschuldigt sich sofort, während Yoshitsu schon nach meinen Haaren greift. Die Situation löst sich aber schnell, als ich ihr versichere, dass der Kleine unglaublich goldig und doch ein echter Wonneproppen ist.

Yoshitsu darf also nach Herzenslust meine „brennenden“ Haare anfassen, den Inhalt meiner Tasche durchsuchen und wahlweise auf mir oder Emily herumkrabbeln. Die Mutter dankt es uns, für ein paar Minuten nicht auf ihr Energiebündel auf zwei Beinen aufpassen zu müssen, die Oma kann nun stolz von all den tollen Dingen erzählen, die Yoshitsu schon kann, und wir finden, dass die zwei Stunden Warten wie im Flug vorbei sind.

Also besitze ich jetzt ein japanisches Bankkonto, und in zwei Wochen dann auch endlich eine Karte, um davon Geld abzuheben. Zurück im Campus haben wir noch unsere Zimmer für die einzelnen Vorlesungen erfahren, und als ich schließlich zuhause ankomme, erwartet mich im Eingangsbereich ein großes Paket aus der Heimat.

Leider wird das Auspacken etwas von explodiertem Käse getrübt, den ich so glaube ich nicht mehr essen kann. Aber um etliche Schuhe, T-Shirts und Süßigkeiten reicher, kann das meine Stimmung nicht wirklich trüben. Mit Emily esse ich zum Abendbrot Toast, Spiegeleier und ein paar Scheiben von dem Käse, der die Reise überstanden hat. Wir sind beide glücklich und zufrieden.

Mittwoch, 21. September 2011

Die Ruhe vor dem Sturm


Soviel zum heutigen Healthcheck in der Uni. In einer etwas verwirrenden Mail wird angekündigt, dass, wenn alles beim alten bleibt, keiner in der Wetterstation schläft und wir in 12 Stunden noch leben, alle Kurse gecancelt sind.

Sturmwarnung! Am Morgen schüttet es erstmal wirklich wie aus Kannen und der Wind peitscht die einzelnen Fußgänger unter meinem Fenster vor sich her. Doch alles ist besser, als die gespenstische Ruhe, die seit knapp drei Stunden in meiner Umgebung herrscht. Es regnet nicht mehr, aber die dunklen Wolken am Himmel verdichten sich immer weiter. Es ist auch nicht mehr windig, und kaum ein Auto mehr auf den Straßen unterwegs.

Bis auf ein Kastenwagen der Stadtverwaltung, der durch rauschende Lautsprecher stündlich Sturmwarnungen durch gibt. Ich kann nicht wirklich verstehen, was gesagt wird, nur irgendwas mit Taifun, nicht dies oder das tun und viele höfliche „kudasai“ am Ende jeder Ansage. Können sie sich das nicht sparen? Ich meine, es ist Taifun, und Kyôto ist besorgt genug ihre Kastenwagen mit Lautsprechern durch die Straßen fahren zu lassen.

Ganz abgesehen davon, dass klare, kurze Befehlsformen ohne das ganze höfliche Schnörkelbeiwerk besser zu verstehen wären. Ich meine: „Runter von der Straße! Bleiben Sie im Haus! Der Taifun kommt in T-XX Minuten“ ist doch viel besser zu verstehen und zu begreifen als: „Wir wollen Sie auf keinen Fall verunsichern, aber wenn sie heute ihre Aktivitäten im Freien, aufs ehrwürdigste bitte auf ein Minimum beschränken könnten, würden Sie auf ihre eigene Gesundheit positiv einwirken.“

Also sitze ich in meinem Zimmer, lösche etwas an meiner Hausarbeit herum, und warte auf den großen Showdown. Hoffen wir mal, dass diese großen Glasfenster stabiler sind, als sie aussehen.

Dienstag, 20. September 2011

Ein Stempel für ein Bankkonto!


In manches Tagen ist einfach der Wurm drin. Wir machen uns morgens im strömenden Regen auf zur Uni, und dort erfahren wir, dass all meine neuen guten Bekannten in einem Kurs gelandet sind... außer mir.

Ich versuche mich in den anderen Kurs versetzen zu lassen, doch der Lehrer meint nur, die Einteilung wäre nach Niveau vorgenommen wurden, und deswegen könne oder wolle er mich nicht in den anderen Kurs lassen. Na super!

Danach versuchen wir unser Glück bei der Mitsubishi Bank für ein Konto, nur um zu erfahren, dass so viele Austauschstudenten da waren, dass sie Neukonten für uns jetzt eingestellt haben. Wir treffen zwei weitere Mädels, die von der Kyôto Bank wissen, die nur einen zufälligen Stempel verlangt und gleich hinter der Uni liegen soll.

Gleich hinter der Uni wird zu einem knappen Kilometer hinter der Uni, auf dessen Weg meine Sandalen reißen und ich immer mehr durchweiche. Zunächst geht es dann noch zum 100 Yen Laden für einen Stempel.

Nur um dann, nach einer Stunde warten in der Bank und unendlich viel ausgefüllten Papierkram herauszufinden, wir brauchen einen Stempel mit der exakten Entsprechung unseres Namens. Auf die Nachfrage, warum alle vorherigen Studenten das nicht gebraucht hätten, kommt die bereits altbekannte Antwort: Ja, es sind so viele Studenten hergekommen, dass wir bald keine Konten an sie mehr vergeben wollen. Deswegen machen wir die Kontoeröffnung jetzt schwieriger.

Ich bin mehr als bedient, pitschnass und müde. Heute war kein so toller Tag. Hoffen wir mal auf morgen.

Nachtrag 1: Naja, das mit dem besseren Morgen wird wohl nichts. Gerade kam eine Mail von der Dôshisha an, für morgen oberste Taifunwarnung. Starker Sturm und Regen. Bisher sind alle morgigen Veranstaltungen gecancelt. Und ich muss mich jetzt schnell noch auf die Socken machen, um noch was Essbares für morgen zu finden. Nochmal will ich im Taifun nicht draußen rumrennen.

Montag, 19. September 2011

Es wird Regen geben... ach was!


Chaos verfolgt mich anscheinend nicht nur, Chaos passt sich meinen neuen Lebensgewohnheiten völlig an. Aber sonst wäre das Leben hier vielleicht auch zu langweilig.

Heute will ich endlich meine Hausarbeit fertig bekommen, und bin, wenn auch noch nicht fertig, erstmal ein großes Stück weiter. Für den Abend habe ich mich mit Emily zum Essen gehen verabredet.W ir wollen mit unseren neuen Fahrrädern in die Stadt und uns ein schönes kleines Lokal suchen. Schließlich haben wir ausgemacht, einmal pro Woche zusammen gut essen zu gehen.

Ich studiere vorher nochmal vorsorglich den Stadtplan (Ok, anscheinend müssen wir auf die Hauptstraße, und die dann nach Süden immer weiter, bis wir auf die Shijo Dori treffen. Das sollte selbst für mich als Orientierungslosigkeit in Person und Landkartendreher irgendwie machbar sein.)

Wir treffen uns an der Haustür und schauen leicht verunsichert in den Himmel. Eigentlich ist ja immer noch Taifun, und eigentlich sollte es heute Abend regnen, aber diese kleinen Wattewolken da oben können doch nicht im Ernst Regen mit sich rumschleppen, oder? Nachdem Emily noch mal klar stellt: Für, uns, unsere Räder und Regenschirme ist definitiv kein Platz auf dem Bürgersteig, machen wir uns frohen Mutes auf den Weg. Und es macht wirklich Spaß. Kyôto ist fast durchgängig ebenerdig und es sind auch nicht zu viele Menschen auf den Straßen.

Irgendwann kommen wir in einer Shopping Meile an, die zwar nicht unser Ziel war, aber trotzdem gut aussieht, und bummeln etwas durch die Passagen. Da kommen auch die unendlichen Photo von Ladeninhalten her. Ich habe nichts gekauft, aber irgendwann ist das alles MEINS!

Dann fängt es an zu regnen. Also so ein leichter, noch angenehmer Nieselregen, der sich noch nicht ganz überlegt hat, was aus ihm mal werden soll, wenn er groß ist. Wir betreten ein extrem leckeres Laufbandsushi Restaurant und kümmern uns nicht weiter darum. Dort gibt es grünen Tee umsonst, jeder Teller kostet knapp 1,50 Euro und es sind Japaner über Japaner da (und ein paar Ausländer).

Ein freundlicher Japaner neben uns ist auch sehr gesprächig, und wir erfahren, dass er einen kleinen Fotographie Laden besitzt und ebenfalls an der Dôshisha studiert hat. Adressen werden ausgetauscht, unendlich viele leckere Sushi gegessen, und irgendwann ist es Zeit, aufzubrechen.

Doch leider hat sich der kleine Nieselregen von vor einer Stunde überlegt, was er mal werden möchte, und ist zu einem handfesten Taifunsturm herangewachsen. Was nun? Mit dem Bus dürfen wir die Fahrräder nicht transportieren, sie hier lassen könnte dazu führen, dass Kyôto sie abschleppt, und auch Taxifahrer würden uns nicht mitnehmen.

Also gibt es nur eine Möglichkeit: Augen zu und durch! Wir treten hastig aus dem Schutz des Restaurants, rennen zu den Fahrrädern und sind im nächsten Moment schon auf der Strecke, Der Regen scheint mit jeden Meter, den wir zurücklegen, stärker zu werden. Wasser rinnt mir zwischen Brille und Stirn entlang direkt in die Augen, Brillengläser beschlagen beidseitig und hinter mir keift Emily ununterbrochen vor sich hin.

Ich verstehe nicht alles, da sie irgendwann in einen Londoner Slang abgleitet, den selbst ich nicht mehr verstehen mag, doch bis dahin ist es ungefähr: Ich geh nie wieder mit dir irgendwo hin. Das hast du doch gewusst. Ich hab auch noch weiße Sachen an, und jeder Japaner glotzt mir auf den Hintern. Wenn ich Regen gewollt hätte, wäre ich in London geblieben... und so weiter und so fort.

An der nächsten Kreuzung versuche ich mich während einer kleinen Verschnaufpause zu rechtfertigen: Es ist doch nicht meine Schuld, dass es regnet. Glaubst du, ich hab heute Mittag zwei Kappa zum Essen eingeladen, damit die uns mal schön den Abend vermiesen? Oder vielleicht noch einen kleinen Regentanz aufgeführt?

Gerade, als ich mich so richtig schön in dieses Argument reinsteigern möchte, blitzt es neben mir. Nein, nicht im Sinne der Naturgewalt, sondern im Sinne einer Kamera. Eine neben uns sicher unter Regenschirmen stehende Truppe von Japanern hat ein Foto von zwei zankenden, pitschnassen Gaijin (Ausländern) auf Fahrrädern geschossen, die sich durch den Taifun kämpfen. In dem Moment fangen wir beide an schallend zu lachen.

Den Rest der Fahrt verbringen wir damit, uns auf Japanisch niederzumachen, von amüsierten Japanern fotografiert zu werden und bis auf die Knochen durchzuweichen. Im Wohnheim angekommen, werden noch schnell zwei Beweisfotos geschossen, bevor wir uns für heute trennen. Nur eine Sache will Emily noch loswerden: Das war so cool, machen wir bald wieder, oder? Ich nicke nur geschafft und freue mich auf eine heiße Dusche.

Nachtrag 1: Uhahaaaaaaaaaa! Und ratet Mal wer seine Literaturhausarbeit bestanden hat! *dance* *dance* *dance*

Sonntag, 18. September 2011

Lückenfüller


Zwiebelkuchen braucht die Welt

Ich habe ja schon mehrmals erwähnt, wie toll meine Flurküche ist. Heute Abend sehe ich dort Yoshimi wieder und eine weitere Stockwerksbewohnerin (AUCH Japanerin) kommt hinzu. Sie hat das Zimmer direkt neben mir. Wir reden über Italien, Japan, das Richard House und die „No boys“ Regel. 

Ich erfahre ersten Gossip über eine aus dem 5ten Stock, die anscheinend letzte Nacht unerlaubter Weise Männerbesuch hatte. Das Mädchen nebenan will eine Männerstimme gehört haben, das Mädchen ein Stockwerk tiefer schwört auf rhythmisches Möbelrücken direkt über ihrem Kopf. Nein, nein... die Gerüchteküche brodelt. Als Yoshimi erzählt, dass sie Gummibären mag, kann ich zum Glück auch davon ein kleines Päckchen aus dem Hut zaubern, und wir beide arbeiten uns durch einige Päckchen, bevor wir uns verabschieden. 

Und ich packe mein sächsisches Kochbuch aus, was dazu führt, dass wir wohl irgendwann für den gesamten Flur Zwiebelkuchen backen müssen. Naja, wenigstens bekommt man so ziemlich alle Zutaten einfach so im Supermarkt. Und ein paar Bleche davon sind ja auch schnell vorbereitet. Nur das backen... Ach, egal. Irgendwie muss das werden. Schließlich sind wir anscheinend eins von nur 2 Wohnheimen in ganz Japan, dass sich nicht an die strikte Rassentrennung (Japaner in das eine Haus, böse Ausländer in das andere) halten. Sowas muss gepflegt und zelebriert werden.

Samstag, 17. September 2011

Einmal Rilke mit Rum

Eigentlich sollte das ein ganz langweiliger Eintrag werden. Ich habe mir vorgenommen, den für heute angesagten Taifun zu nutzen und endlich meine Hausarbeit fertig zu schreiben. Schließlich rückt der Abgabetermin immer näher. Und es soll heute ja den ganzen Tag wie aus Eimern schütten. Was begrüßt mich folgerichtig, als ich am Morgen die Vorhänge aufziehe? Genau, Sonnenschein und keine Wolke in Sicht.

Trotzdem ningelt die Hausarbeit schon viel zu lange auf meiner Festplatte vor sich hin, also werden die Vorhänge wieder zugezogen und ich beginne zu arbeiten. Nur um dann festzustellen, dass auf dem Netbook mit einem anderen Programm als Microsoft Word meine bisherige Formatierung und Quellenübersicht vollkommen im Eimer sind. Das ist ja ganz wunderprächtig. Also bringe ich Stunden damit zu, das bisher geschriebene Material in neue Ordnung zu bringen, ein weiteres Quellenverzeichnis anzulegen und mich durch die Bedienung eines neuen Schreibprogramms zu kämpfen. Alles nur minder erfolgreich.

Wenigstens der angesagte Regen lässt mich nicht im Stich, bereits gegen Mittag prasselt er unaufhaltsam vor sich hin. Doch dann steht Wei vor meiner Tür und erzählt von einer Welcome Party im angrenzenden Wohnheim. Das trifft sich gut, denn nach diesem sinnfreien Tag steht mir der Sinn nach ein wenig Spaß und vielleicht sogar dem ein oder anderen Glas Sake. Wir gehen noch kurz zum Kombini, um etwas zu Essen zu besorgen und finden uns dann im Partyraum ein.

Ein paar der letzten Plätze ergatternd, können wir die einströmenden Massen an Studenten beobachten, die mit ihren mitgebrachten Speisen den Tisch vollständig in Beschlag nehmen. Und was es alles gibt: Amerikanische Sandwiches, Japanische Kare, Gyôza, Yakitori, deutschen Nudelsalat, taiwaische Hühnerbrühe und koreanische eingelegte Schweinesteaks. Um nur ein paar der Köstlichkeiten aufzuzählen.

Nach dem Essen rede ich mich ein paar netten Japanerinnen und ergattere außerdem ihre Mailadressen. Sie wohnen auch im Richards Haus. Schließlich verliere ich vernichtend gegen eben diese ach so lieben Japanerinnen an der Spielkonsole und als dann ein Amerikaner mit kubanischer Herkunft eine Flasche guten Rum herbei zaubert, geht die Party erst richtig los.

Ich trinke ein Glas 30% Reisschnaps, der wie Hustensaft schmeckt aber aus Okinawa kommt und deswegen ausgetrunken werden muss. Danach noch einen Shot Rum. Irgendwann zwischendrin verteile ich meine ganzen Gummibären, die innerhalb der nächsten Stunde wie Ersatzwährung gegen Alkohol gehandelt werden.

Das heißt, bis ein völlig betrunkener Japaner sich zu mir setzt, anscheinend endlich mit genug Mut (pardon Alkohol) im Blut, um „Konversation“ zu betreiben. Ab diesem Punkt verstehe ich, was mir mein Großvater noch kurz vor der Abreise mit auf den Weg gegeben hat: Ab 11 Uhr abends, in der Kneipe, bei genug Alkohol, sprichst du die Landessprache perfekt und jeder versteht dich.

Unglaublich, aber wahr. Er erzählt mir von Rilke, ich ihm von Nietzsche, und zwei Taiwanerinnen referieren über Konfuzianismus, und warum man das sehr gut mit modernen japanischen Idols vergleichen könne. Als dann der freundliche Junge mit der Rumflasche vorbei kommt, und mir ein paar weitere Shots anbietet, sage ich auch nicht nein.

Ein Gespräch des letzten Abends, an das ich mich noch einigermaßen erinnern kann:

Er: Ich nuschel Theologie.
Ich: Aha, du studiert Theologie, bist du gläubiger Christ?
Er: grinst Und ich lieeeeeebe Rilke. Alllles von Rilke.
Ich: Ah... ja. Was ist dein Lieblingsgedicht von Rilke?
Er: denkt angestrengt nach Also... Blick wird kurz glasig Und ich lerne Hebräisch und Altgriechisch, wegen ausschweifende Handgeste verfehlt nur knapp zwei volle Gläser Theologie.
Ich: Aha, … gut. Erinnerst du dich noch an meinem Namen?
Er: Benedikt?
Ich: … WAS? Das ist ein Jungenname!
Er: Oh.... schenkt mir noch ein Glas Sake ein Prost!
Ich wende mich zu einer Taiwanerin, die neben mir sitzt und eigentlich besser Japanisch kann als ich. Doch da leert sie ein weiteres Glas des 30% Sake und schüttelt nur den Kopf. Sehr hilfreich.
Er: triumphierend, weitere ausladende Geste Du bist Benti!
Ich: gieße mir selbst ein weiteres Glas Rum ein Nah genug. Schluck Ich mag Nietzsche!
Er: Oh, Shakespeare! Den habe ich auch gelesen. wir beide trinken

Am Ende schaffe ich es noch, den Weg zurück über die plötzlich gefährlich steile Holztreppe, hinaus in den Hof mit gefährlich aufgeschichteten Kieselsteinen bis in mein Zimmer zu finden. Wenigstens kein ereignisloser Abend. Und mein Handyadressbuch ist um so viele Namen reicher, denen ich irgendwann morgen hoffentlich noch Gesichter zuordnen kann. Wenn nicht, dann weiß ich wenigstens, mit welchen Leuten man wirklich gut feiern kann.

Freitag, 16. September 2011

Wenn der Postbote zweimal hinschaut

Heue ging es mal zur Abwechslung erwas später zur Uni und damit auf zu einer weiteren Orientation. Diesmal betraf sie unsere Kursregistration.

Also, ich muss dazu mal etwas generell sagen: Einführungs- und Informationsveranstaltungen sind wichtig. Ja, und es ist verständlich, dass man am Anfang eines Semesters damit überhäuft wird. Doch der Zweck dieser Veranstaltungen, besonders an die Leute gerichtet, die sich nicht allein durch die japanischen Papierberge kämpfen können, ist zuallererst Verständlichkeit und Fehlerprävention, oder?

Warum bestehen die sogenannten Orientations dann nur aus dem Vorlesen des japanischen Infomaterials? Eine weitere Frustration ist die englische Übersetzerin. Ich weiß nicht, ob diese Frau mal von einem tollwütigen Mikrophon angefallen wurde, jedenfalls hält sie das Ding soweit weg von ihrem Gesicht wie nur menschenmöglich. Als Ergebnis bekommen nur Reihe eins bis drei den fast dahingehauchten Satz mit, den sie pro japanischer, vollbeschriebener Seite von sich gibt.

Selbst, wenn man sie versteht, ist man immer noch nicht schlauer. Mit der Zeit frustriert dieses Gebaren sichtlich.

So gibt es zum Beispiel eine Seite in dem Infomaterial, die sich mit der Kurswahl beschäftigt, und welche Kurse mit wie vielen Creditpunkten man wählen kann. Der japanische Sprecher erklärt im Detail, dass man nicht mehr als 20 Creditpunkte pro Semester belegen darf, es elektive und sprachorientierte Kurse gibt, die unterschiedlich in dieses System eingehen, und welche Art von Austauschstudent in welchen Programm überhaupt für welche Seminare zugelassen ist. Die englische Übersetzerin haucht nur einen Satz ins Mikrophon: Die maximale Anzahl von Creditpunkten ist 20.

Nach diesem vielsagenden Nichts an Informationen machen Emily und ich uns auf, an einem Tag so viel Geld zu verbrennen, wie noch nie zuvor. Die Miete muss bezahlt, das Mietgeld für das Futonset bei einer Bank überwiesen  und schließlich noch ein Konto mit unseren Handys eröffnet werden.

Die Unterschrift von einem Ausländer ist nämlich nichts wert, aber sobald irgendein Idiot irgendwoher ein Handy bekommt, kann er so viele Konten eröffnen, wie er lustig ist. Aber egal, denn soweit kommt es gar nicht.

Im Postamt, dem einzigen Ort zur Mietüberweisung, die außerdem in Bar bezahlt werden muss, gibt es plötzlich Probleme. Während Emily an ihrem Schalter einfach durchgewunken wird und bald schon neben mir wartet, beäugt der Postangestellte meine Anschrift kritisch, hämmert auf seinen PC ein, riskiert einen weiteren Blick und schüttelt schließlich den Kopf. Die Adresse sei falsch. Wie jetzt, falsch? Also, wenn sie meine Kanji nicht lesen können, das tut mir Leid. Ich dachte nur, so wäre es einfacher... Was hießt hier, es sind nicht die Kanji? Die Postleitzahl? Ja, die habe ich von meiner Wohnheimzulassung abgeschrieben. Schauen Sie hier, da steht es doch.

Ja, kommt heraus, auf meinem offiziellen Dokument von der Universität ist eine Adresse gedruckt, aber leider keine korrekte. Die Postleitzahl führt in einen völlig anderen Stadtteil. In meinem Kopf wird ein Horrorszenario von dem nächsten verdrängt. Oh mein Gott, der große Papierberg von der Dôshisha, alles falsch! Das muss ich alles noch einmal ausfüllen. Oh nein, meine Aliencard, die wir mit Ach und Krach beantragt haben! Die brauche ich doch so schnell wie möglich, und jetzt stimmt die nicht. Wenn mich jemand damit kontrolliert, die könnten mich ausweisen.

Doch ein Gedanke verdrängt all die anderen Unannehmlichkeiten: Das Paket! Das bereits abgeschickte Paket, meine Schokolade... meine Messer! Der Postangestellte kann mir nicht versichern, dass das Paket ankommt. Zunächst wird es auf jeden Fall falsch ausgeliefert und dann, wenn der Postbote weiter ließt und ein Herz für Gaijin hat, vielleicht wird er dann das Paket... Ich nicke nur ergeben und wir verlassen die Post.

Emily ist nun auch völlig von der Rolle. Zwar kann sie meine Sorge um das von meinem Opa geschliffene Messerset nicht ganz teilen, doch  all die anderen Probleme treffen auch auf sie zu. Kurz schauen wir noch bei der Bank vorbei und bezahlen die Miete für den Futon. Habe ich übrigens erwähnt, dass beide Orte die einzige Möglichkeit für uns sind, diese Dinge zu bezahlen? Und sie uns dafür trotzdem eine Gebühr von 4 Euro berechnen? Frechheit, sowas!

Auf geht es zurück zur Universität, wo hoffentlich irgendjemand erklären kann, warum sie wichtige Dokumente mit falschen Adressen an ahnungslose Ausländer versenden. Natürlich könnte man schon, will man aber nicht. Nachdem wir die Damen im International Student Office davon überzeugen können, sich unsere Dokumente wenigstens mal anzusehen, anstatt auf die eigene Unfehlbarkeit zu pochen, kommt ziemlich lange gar keine Reaktion. Dann ist eine Dame zurück, verbeugt sich kurz und sagt: Ja, das stimmt. Leider ist es die falsche Adresse. Ihre Aliencard hat aber zum Glück die Postleitzahl nicht, nur bei allen anderen Meldestellen müssen sie diesen Fehler korrigieren gehen. Entschuldigen Sie, für die Unannehmlichkeiten.

Ich will über die Theke springen! Wenn wir beide die falsche Postleitzahl bekommen haben, dann bestimmt noch einige mehr aus unserem Wohnheim. Die laufen alle völlig ahnungslos durch die Gegend, weil bei ihnen kein Japaner zweimal hingeschaut hat. Doch was soll's, ärgern, wütend werden und auf den Boden stampfen, macht die Situation auch nicht besser. Wir verabschieden uns und sagen jedem aus unserem Wohnheim Bescheid, den wir treffen. Einige haben bereits Probleme, andere sind noch völlig ahnungslos und wollen uns nicht so recht glauben. Wir schicken sie ins International Student Office.

Da nun wenigstens alles grob geklärt ist und so schnell keine negativen Konsequenzen zu erahnen sind, entschließen wir uns, dass unsere heutigen Ausgaben sowieso schon astronomisch hoch sind. Also machen die Fahrräder den Braten auch nicht mehr fett. Zusammen mit Kyle (ebenfalls aus London) machen wir uns auf zu dem Gebrauchtfahrrad Händler.

Was soll ich sagen? Es war billig, pink und ohne Gangschaltung. Und es hat Mama zu mir gesagt. Darf ich vorstellen? Mein Super Suteki Pinku Bike:




Wenigstens werde ich es überall wiederfinden. Und es kommt bereits mit einem Schloss (auch wenn den alten Drahtesel bestimmt keiner klauen wird). Der ansetzende Rost an den Bremsen ist zwar etwas bedenklich, aber bisher funktionieren sie noch ganz gut. Emily ist seit fast 12 Jahren nicht mehr Rad mehr gefahren und ich verschweige, dass es bei mir wahrscheinlich mindestens genauso lange her ist.

Zur Übung holen wir noch schnell Kyles Fahrrad aus der Uni, lassen uns einen gelben Aufkleber verpassen, der das Parken auf dem Unigelände erlaubt, und fahren in den Park. Eigentlich ein guter Übungsplatz, wäre er nicht mit Kieselsteinboden ausgelegt, in dem auch geübte Fahrer schnell wegrutschen oder nur schwer vorankommen.

Einziges Entrinnen bietet eine kleine, schmale Spur in der Mitte des Weges, die von Kieselsteinen befreit wurde. Fahrrad fahren mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Auf dem Rückweg passieren wir einen großen Transporter, in dem Pferde aufgezäumt werden. Leider kann ich nur den Sattel und das nette Hinterteil eines der Polizisten fotografieren, bevor sie uns verscheuchen. Anscheinend ist das die japanische Polizeireiterstaffel. Kurz vor der Dôshisha fängt es langsam an zu regnen.

Nach einer weiteren Einführung, diesmal zum Thema Bibliothek, machen Emily und ich unsere erste Einkaufstour mit Fahrrad. Es geht schneller, doch die Verkehrsregeln sind mir noch nicht ganz klar. Fußgänger sind zum Glück heute nicht zu Schaden gekommen. Wir kaufen Obst und Gemüse im Dutzend vom billigen Gemüsehändler, was wir dann untereinander aufteilen können. Außerdem haben wir ein tolles Gespräch mit einer Frau im Supermarkt, von der ich eigentlich nur die Zubereitung von Manju wissen wollte. Ihre Tochter ist früher viel gereist, doch jetzt ist sie verheiratet, wenn auch zu spät und mit einem Dummkopf, aber wenigstens sind bald Kinder in Sicht.

Wir machen die mentale Notiz, nächste Woche zur gleichen Zeit wieder her zu kommen. Vielleicht trifft man sich ja wieder. Zuhause bezwingen wir zum ersten Mal die Waschmaschinen und Yuki erzählt, dass es wohl bald einen Taifun gibt. Wie aufs Stichwort fängt es an unglaublich zu schütten.

Jetzt ist erst einmal Schluss mit diesem ellenlangen Blogeintrag. Ich habe mir ein Bad und etwas Entspannung heute wirklich verdient.

Donnerstag, 15. September 2011

Böse Omen und gute Lehrer


Heute heißt es wieder früh aufstehen und schnell in die Uni. Bereits auf der Treppe müssen wir uns durch eine riesige Traube Austauschschüler zentimeterweise zum Aushang vorarbeiten, auf dem ein winziges Blatt mit unseren Ergebnissen geheftet ist. Ich habe es ins Level 4 geschafft. Gut oder schlecht? Keine Ahnung, jedenfalls kann ich so keine normalen Vorlesungen mit anderen japanischen Studenten besuchen. Dafür benötigt man Level 5.

Doch ich kann versuchen, mich in ein Seminar des Deutschfachbereichs einzuschreiben. Hauptsache irgendwie wenigstens eine Vorlesung mit Japanern besuchen, das ist mein Ziel. Alle Kurse des Nichibun Programms sind ja fast schon paranoid nach Ausländern und Japanern getrennt. Aber wenigstens unser Lehrer scheint ein echter Glücksgriff zu sein, Er spricht verständlich und klar, und hat einen echten Enthusiasmus für seine Lehre. Nach dem ersten Kurs und einer weiteren Einführungsveranstaltung machen wir uns auf zu einem etwas Abseits liegenden Teil des Campus, wo es nach Aussagen unseres Lehrers nicht nur die Aufnahmezeremonie, sondern auch als einzigen Ort auf dem Gelände Alkohol zu kaufen gibt.

Mit Taiwanern und Koreanern warte ich auf den Beginn der Zeremonie. Wenn schon keine Japaner in Sicht sind, mit denen man reden kann, halte ich mich zumindest an die Leute, mit denen ich trotzdem Japanisch sprechen muss. Plötzlich kommt eine Mail von einem der Mädchen, die uns gestern mehr oder weniger Volontärmäßig begleitet haben. Ja, das sei ihr alles ganz schrecklich peinlich, aber sie hätte vergessen, unsere Krankenversicherung in Japan anzumelden.

Ich rekapituliere: Die beiden haben uns gestern eine halbe Stunde draußen in der glühenden Hitze stehen gelassen, bei der Ausländerregistrierung keinen temporären Ausweis für uns ausstellen können und jetzt auch noch die Krankenversicherung einfach vergessen? Was soll denn das, bitte?

Kurzerhand suche ich Emily und Yen, und wir beschließen die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Während der Zeremonie wird uns noch ein Glee-Club angekündigt, und ich denke schon, das wäre doch der ideale Club für mich. Dann der Schock: Heraus marschieren, knapp 10 in viel zu große, weiße Jacketts gehüllte Kerle, die mit Glee Club ungefähr soviel zu tun haben wie ein Kirchenchor mit einem Kiss-Konzert. Neben mir lacht Emily laut und schallend. Jaja, dann eben doch kein Glee-Club.

Einen letzten Schockmoment gibt es noch, als der Pastor den Anwesenden seinen Segen ausspricht, und dabei die Hand um einiges zu weit nach Oben hebt. Ich reiße die Augen auf und die anderen um mich rum scheinen auch nicht recht zu wissen, wie man damit umgehen soll. Nach ein paar sehr unangenehmen Minuten nimmt er endlich die Hand wieder runter, wir dürfen gehen und betreten das Ausländermeldeamt.

Dort können wir die Krankenversicherungsanmeldung auch allein über die Bühne bringen und versuchen unser Glück gleich noch mal mit den temporären Ausweisen. Die Dame am Schalter fragt mich, ob mir jemand gesagt hätte, ich könnte diese schon heute abholen. Emily und ich schauen uns verschwörerisch in die Augen, wenden uns wieder der Dame zu und nicken wie blöd vor uns hin. Natürlich, da gleich am Eingang, an einem Schalter, oder vielleicht auch im Gang, aber ja doch. Fünf Minuten später halten wir unsere temporären Ausweise auch schon in den Händen.

Am Abend lerne ich noch eine weitere Japanerin kennen, die gleich das Zimmer neben mir bewohnt. Wir tauschen Handy Email Adressen aus und sie gibt mir eine Wegbeschreibung zu günstigeren Supermärkten.

Die Mückenstiche scheinen sich trotz Spray jeden Tag zu vervielfachen. Außerdem werden die Punkte immer größer. Böse Erinnerungen an mein damaliges Problem in Fukuoka kommen auf, besonders als ich eine andere Ausländerin treffe, die hier in Kyôto das gleiche Problem bekommen hat. Hoffentlich schwellen diese verdammten Stiche wieder ab, oder alle Mücken sterben einen grässlichen Tod. Ich akzeptiere beide Lösungen.

Mittwoch, 14. September 2011

Tage, die nicht enden wollen


Hach, bin ich knülle. So ganz hat sich der Jetlag noch nicht verabschiedet, sodass ich zwischen 6 Uhr Powerwach und 9 Uhr total verschlafen wählen muss. Doch es geht schließlich heute zum mündlichen Test, und ich will vorher noch Geld abheben. Das ist zum Glück reibungslos und auch der Interviewverlauf ist in meinem Sinne. Am Ende soll ich sogar detailliert beschreiben, wie ich ein Kanji lerne. Also dürfen sie sich meine Geschichte von morbiden Bildern anhören, die jedes noch so unschuldige Kanji in einen haarsträubenden Todesfall verwandelen und somit besser zu lernen sind.

Danach wandere ich doch den Kaisergarten und versuche aus dem ganzen Zettelwirrwarr von gestern etwas schlauer zu werden. Die Dôshisha funktioniert anscheinend wirklich nach dem „friss oder stirb“ Prinzip. Jemand, der nicht wenigstens schon mittelgut Japanisch kann wird gnadenlos ignoriert und zurückgelassen. Etwas furchteinflößend. Anscheinend gibt es eine Kursregistrierung für Zulassungsbeschränkte Vorlesungen, die schon übermorgen endet, und eine Menge einzelner Schritte und Geldmengen, die irgendwo hinterlegt werden. Und Karten/Anmeldeformulare, die irgendwann irgendwo eingereicht werden, ohne die man garnicht als Student registriert wird. Nix davon in Englisch, oder wenigstens mit Furigana geschrieben.

Leichte Panik macht sich in meinem Innern breit, als ich versuche alles in 3 Haufen einzuteilen: 1. Ungefährliches Infomaterial ohne größere Auswirkungen 2. Formulare, die ich verstehe und bald abgeben muss und 3. Unverständliche Zettel auf denen aber groß und drohend irgendeine Geldangabe zu finden ist. Es sind entscheidend zu viele Zettel auf Stapel Nummer 3 gelandet. Nach einem Mittagessen mit Emily finden wir uns zu einer weiteren Orientation ein, die uns eigentlich jedem einzelnen einen Volontär zuteilen sollte. Jedenfalls wurde das gestern noch hoch und heilig versprochen. (Und als Ausrede für jegliche Fragen verwendet) Doch, oh nette Überraschung, ungefähr 10 Austauschstudenten werden mit ein oder zwei Volontärs über den Campus gejagt.

Unsere Gruppe besteht nur aus Koreanerinnen und Chinesinnen, die alles schon länger im Land sind, Emily und mir. Wir quälen uns in brütender Hitze durch die Campusführung, nur um dann fast eine halbe Stunde mitten in der Sonne stehen gelassen zu werden. Die anderen Ausländer besitzen nämlich alle schon eine Aliencard und wollen mit den Japanerinnen, bevor die mit uns verschwinden, noch Fotos machen und was Essen. Völlig verwirrt bleiben wir zurück und ich kann auch noch bemerken, dass irgendwelches Mückenkriechgetier meine Beine in ein Schlachtfeld verwandelt hat. Na super.

Irgendwann genügen sich dann unsere Volontärs, doch auch mit uns zur Alien Registration zu gehen, wo es promt die nächste Absage gibt. Weil wir so spät ankommen, nehmen die Damen und Herren vom Amt zwar gnädigerweise unsere Anmeldung an, weigern sich aber unseren tempurären Ausweis noch auszustellen. Als klar wird, dass nicht alles ganz so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, verabschieden sich die beiden Japanerinnen mehr als hastig und lassen 3 deutlich verstimmte Ausländer zurück. Aber egal, wir werden uns jetzt selbst mit Handys belohnen, denken wir und machen uns auf den Weg zur nächsten Softbank Filiale.

Dort erklärt man uns mit wenigen Verbeugungen und einem durchaus ärgerlich zu nennenden Gesichtsausdruck, dass vor etwa einer Stunde eine Horde von Ausländern mit ihren Volontärs hier eingefallen wäre, und alle Prepaid Handys ausverkauft seinen. Unflätig über das Leben und die Welt und eigentlich alles fluchend nehmen wir den nächsten Bus zur Shijo Dori und versuchen dort unser Glück. Für einen kurzen Lichtblick sorgt, dass das zweitteureste Prepaid Handy heute so viel wie das billigste kostet und das Ladekabel zur Abwechslung im Preis mit drin ist.

Doch wenig später, während die anderen beiden bereits ihr Handy in den Händen halten, wird mein Pass immer wieder beäugt und weggeschleppt. Was? Ja, ich bin Deutsche. Nein, da kann man leider im Moment nichts gegen machen. Nein, dass ist kein zweites B in meinem Namen, dafür habe ich doch die Umschrift hinzugefügt. Nein, es sieht zwar aus wie ein B, wird aber in Umschrift zu einem doppelten s. Was heißt hier, das können sie nicht glauben? Haben sie Deutsch gelernt oder ich?

Die Dame lässt nicht mit sich reden und besteht darauf, da ihr die Umschrift nicht klar ist und da das so in meinem Pass steht, könne sie mir kein Handy verkaufen. Irgendwann wird mein Japanisch etwas kürzer und die Tonlage deutlich dunkler, und ich versuche meine Nerven zu bewahren. Der Tag war schon zu lang und in dem Moment sitze ich bereits 2,5 Stunden in diesem komischen Stuhl.

Nach weiteren 20 Minuten werde ich an eine andere Mitarbeiterin verwiesen, die meine Daten mit GRIEBBACH ausdruckt und mich fragt, ob das so ok wäre. Nein, will ich schreien, nichts ist ok. Das ist nicht mein Name, das kann sonst was für Probleme geben, was fällt ihnen eigentlich... Doch ich will jetzt mein Handy und aus diesem Laden raus, also nicke ich nur und schließe die Augen.

Wenig später können wir endlich den Laden verlassen und uns auf den Weg zurück nach Hause machen. Ich bin völlig fertig und sehe mit Schrecken, dass es morgen noch früher losgehen wird. Um 9:15 werden die Testergebnisse bekannt gegeben.

Dienstag, 13. September 2011

Heben Sie ihre Hand, wenn Sie etwas nicht verstehen


Ich.bin.müde. Und zwar nicht Jetlack-müde, sondern wirklich ausgelaugt. Heute haben wir den Einstufungstest und sollen um 9:30 Uhr auf dem Campus sein. Im Eingang halte ich noch einen kleinen Plausch mit unserer Hausmutter, und Sie versucht meine Stimmung mit ein paar witzigen Anektoten aufzuheitern. Sie erzählt mir von rasenden Fahrradomis, die vom Wind gebeutelt nur noch Schlangellinien fahren können und bereichert diese Geschichte mit einer schönen dermatologischen Darstellung. Da hebt sich meine Laune doch gleich ein bisschen. Mit Emily zusammen geht es dann auf in Richtung Campus, auf dessen Weg wir prompt in die falsche Einfahrt abbiegen. So landen wir nicht auf dem Zielcampus sondern im Dôshisha College of Liberal Arts. Der Fehler wird aber schnell von einem der freundlichen Wachmänner korrigiert und wir finden (einmal auf dem richtigen Campus angekommen) relativ schnell das passende Gebäude.

Die Tische im Zimmer teilen jedem Austauschschüler einen speziellen Platz zu, und ich wandere erstmal planlos durch die Reihen, weil mir das System der Beschriftung (da ist 115501, daneben ist 115701, und dann kommt 11505...) einfach nicht einleuchten will. Schließlich auf dem richtigen Platz angekommen, sitzt neben mir Hanji, eine Koreanerin aus meinem Wohnheim. Gut, da fühlt man sich doch gleich nicht mehr ganz so allein. Der Test beginnt wenige Minuten später. Es sind praktisch Passagen aus dem JLPT, aus der alten Stufe 4,3,2 und 1. Die Fragen werden immer schwerer, sodass man irgendwann aus Zeit- und/oder Wissensnot das Handtuch wirft. Bei mir ist es ein Mix aus beidem. Irgendwann bei den Fragen zur 2ten und 3ten Stufe sind einfach die 70 Minuten um und mein Kopf schwirrt vor lauter A,B,C,D. Das Schlimme an mutible Choice Aufgaben ist nicht nur, dass man versucht ist, manche Lücken mit mehreren Antworten zu versehen, sondern auch, dass man bei 2x der Antwort (C) hintereinander sofort einen Fehler vermutet.

Doch nach einer Weile fallen mir die Antworten wieder etwas leichter, denn ich habe mich ja schon einmal durch das volle Programm des JLPT gequält. Und Kanji werden auch keine abgefragt, nur Grammatik (deswegen wird es noch peinlicher, wenn sie mich in eine Anfängergruppe einordnen). In der Cafeteria kann ich dann zum ersten Mal wieder Omuraisu essen, praktisch eine Portion Reis versetzt mit Tomatenmark, Gemüse und Fleischstücken, eingeschlagen in ein Omelett. Lecker! Und billig! Außerdem gibt es kostenloses, eingekühltes Wasser.

In der Pause mache ich mich mit Emily auf den Weg zu einem Gebrauchtfahrradhändler. Die Wegbeschreibung hat mir gestern noch Yoshimi gezeichnet. Dort gibt es ein gebrauchtes Fahrrad für 5800 Yen. Ich denke, das wird morgen den Besitzer wechseln.

Die weitere Orientation am Nachmittag fängt sehr gut an. Ein Mitglied der christlichen Fachrichtung erklärt etwas zur Geschichte der Dôshisha Universität. Soweit sind alle Ansagen auf Japanisch passiert. Auch er spricht Japanisch, dafür aber klar verständlich und ausländerfreundlich langsam. Seine Rede ist wirklich toll, vor allem, als er betont, dass es der Dôshishauniversität nicht darum geht, jeden Studenten zu bekehren (mit Grausen wird sich an die Seinan Schule in Fukuoka erinnert), sondern den Studenten neue, unterschiedliche Erfahrungen zu bieten, um ihre Zukunft besser gestalten zu können. Ausdrücklich sagt er sogar noch am Ende: Es ist egal, ob ihr in ein paar Jahren Christen werdet, Buddhisten, Moslems oder gar keiner Religion angehört. Das interessiert nicht. Wichtig ist nur, dass ihr neue Erfahrungen macht und später freie Entscheidungen für euch selbst treffen könnt. Ein toller Mann.

Leider geht die Veranstaltung nicht so weiter. Eine Japanerin macht uns auf eine große Tasche mit unendlichen vielen bunten, bedruckten Papierseiten, Heften und Büchern aufmerksam, die jeder von uns vor dem Tisch stehen hat. Sie nimmt ein Blatt heraus, erklärt den Inhalt auf Japanisch und geht zum nächsten über. Dazwischen gibt es einen kurzen englischen Satz, der meist so rein garnichts erklärt. Ich sehe Hanji neben mir einnicken, und kämpfe selber krampfhaft gegen die Müdigkeit.

Irgendwie sind alle bunten Blätter wichtig, doch nachdem sie in einem Nebensatz erklärt, dass jeder von uns morgen einen japanischen Volontär an die Seite bekommt, der uns alle diese Sachen zeigen und erklären soll, wird die Veranstaltung noch sinnloser. Aber irgendwann ist Schluss.

Ich kaufe eine japanische Wäschespinne (pink), eine Klobürste (zartrosa), einen Wischmopp in Form eines blauen Hundes (da bekommt der Begriff Fußhupe doch eine ganz neue Bedeutung) und ein paar Magnete (rosa mit Glitzer, weil... ist halt so). Wir dürfen nämlich bei uns im Wohnheim nichts an die Wand kleben, NICHTS... NIRGENS, also bleibt nur der magnetische Kühlschrank und die magnetische Tür.

Auf dem Rückweg wird ein weitere Supermarkt inspiziert und ein bisschen Tiefkühlkost eingekauft. Am Abend bediene ich zum ersten Mal den Reiskocher, oder wie ich ihn nenne: Heißes, brodelndes Teufelsding aus der Hölle. Wirklich, das erste Mal habe ich mich am Wasserdampf verbrannt, der an den Seiten in die Luft stieg. Am Wasserdampf! Das zweite Mal, als ich kurz mit einem Finger an die Innenwand des Reiskochers kam. Und das dritte Mal, als ich meine eigene Reisschüssel anfassen wollte. Böses, doofes Ding. Aber ich habe meine Lektion gelernt. Nachdem es an ist, nähere ich mich dem Ding nicht mehr als 10 Schritte. Basta.

Beim Essen treffe ich dann ein Mädchen aus Singapur, mit der es sich auch super schwatzen lässt. Nach all dem Japanisch und anstrengenden Test, ist so etwas englische Konversation wirklich erholsam. Als letztes bekomme ich die Zeit für mein morgiges Interview mitgeteilt. Jeweils zwei Personen werden zusammen geprüft, und ich bin gegen 10 Uhr dran. Das heißt, vorher noch zur Post und das erste Mal Geld abheben. Es ist so frustrierend.

Heute gibt es keine neuen Bilder, aber hoffentlich morgen dann eine kleine virtuelle Tour vom Campus für alle.

Montag, 12. September 2011

Frommes Gebet und weniger fromme Abendunterhaltung


Eigentlich soll es ja heute regnen. Google hat es mir gesagt. Doch bereits gegen 6 Uhr weckt mich gleißendes Sonnenlicht, und alle anderen Wetterseiten scheinen sich auf rund 33 Grad verständigt zu haben. Was mache ich also mit einem nicht verregneten Montag? Ein Blick auf meine gestern erbeutete Stadtkarte zeigt, dass sich in der Nähe der Shijo Dori neben dem Gion (Geisha/Geiko) Bezirk auch noch eine große Parkanlage mit Tempeln sowie Schreinen befindet. Das kann man doch ein ausgeglichenes Tagesziel nennen.

In der Flurküche treffe ich noch Emi wieder, die gerade aufgestanden ist und gleich zur Arbeit fährt. Die Arme, scheint noch völlig verschlafen und mir deswegen gleich noch sympatischer, Frühaufsteher haben etwas gespenstiges an sich. Als ich mir gerade meine (durch Schuhspray erwas besser duftenden) Sandalen überstreife, komnt auch noch die Haushälterin auf mich zu. Wir reden kurz über Kyôto, wo es (nach ihrer Meinung) nicht so sicher ist und dass sie seit 50 Jahren hier lebt. Naja... also, ich glaube ja es sind mehr als 50, nicke aber nur artig und verabschiede mich. Auf Anraten der Haushälterin kaufe ich mir diesmal ein Tagesticket für 500 Yen, mit dem ich in ganz Kyôto herumfahren kann, wie ich lustig bin.

Von Shijô Dori aus geht es dann in Richtung Fluss, vor dem ich noch schnell in eine anscheinend bekannte Restaurantmeile des Geisha/Geiko Viertels abbiege. Am Abend und Nachmittag kann man bestimmt nicht so einfach hier langschlendern, aber jetzt, am frühen Morgen, wird geputzt und geräumt, weil nur wenige Besucher auf den Beinen sind. Die Essensauslagen sind herrlich, und ich höre auf, sie zu photographieren, als ich davon wieder hungrig werde.

Über den Fluss hinweg komme ich dann nach mehreren kleinen Gassen (die Hauptstraßen sind schon jetzt überlaufen und nur voll mit Geschäften, die zwar Japanisch aussehen, jedoch zu meist an Ausländer oder Touristen gerichtet sind) beim Yasaka Schrein.

Zum ersten Mal sehe ich ganze Busladungen von Ausländern und alten japanischen Frauen vor mir auf der Straße und füge mich meinem Schicksal aus Warten, zur Seite geschupst werden, wieder warten und ergreife schließlich die Flucht nach vorn aus dem Schreingelände heraus in einen den Berg hinaufführenden Park. Es ist angenehm kühl unter den großen Bäumen und generell ist die Umgebung mehr als malerisch. Und so ruhig. Als wäre man überhaupt nicht weniger als 10 Minuten entfernt von einer riesigen Einkaufsstraße.

Ohne auf meine Karte zu schauen, wandere ich immer weiter nach oben, bis mir nur noch Tempelmitarbeiter und alte Leute begegnen (denen die Hitze und der Anstieg bei Weitem nicht so viel ausmacht wie mir). Ich finde weitere kleine Schreine und bete an jedem verfügbaren Punkt für die Gesundheit meiner Familie. Wenn das so weiter geht, muss ich noch einen extra Ausgabenposten für Schreinabgaben einführen.

Auf dem Weg nach unten finde ich noch einen buddhistischen Friedhof, viele Restaurants und kaufe mir schließlich kostensparend und vom Hunger geplagt einen Crepe. Was kann schon passieren, während ich esse? Nun, zum Beispiel kann ein Fotoshooting für Hochzeitskimonos abgehalten werden, von dem ich nur zwei unverwackelte Fotos hinbekomme, weil der Crepe nun auch irgendwie Geld gekostet hat und deswegen nicht einfach abgelegt werden kann. Sei's drum!

Entlang des Rückwegs treffe ich 3 nette Mädchen im Kimono aus Ôsaka, die sich nicht nur von mir photographieren lassen, sondern auch etwas mit mir über die Gegend schwatzen. Als letztes schaue ich dann noch bei Softbank vorbei, und werde fündig. Sie bieten Prepaid Handys an, die mich an die 80 Euro kosten, und dann in zwei Monaten etwa 40 Euro, wenn ich mit dem Telefonieren haushalte. Das sind so ungefähr die gleichen Modelle, wie es schon vor 5 Jahren gab, aber damals hat das ja auch gut funktioniert. Email geht, und anrufen geht auch. Internet geht natürlich nicht. Sei's drum, warte ich eben auf mein Smartphone, bis ich wieder in Deutschland bin. Vielleicht sind sie bis dahin etwas billiger.

Hach, diese Gemeinschaftsküche hat schon was für sich. Als ich heute Abend aufbreche, um meinen kargen Kühlschrankinhalt in dampfendes Essen zu verwandeln, mache ich endlich meine nächste engere Japanerbekanntschaft.

Bereits an der Tür wird klar, dass mir diesmal das einsame Kochen erspart bleibt. Nicht nur, dass die gesamte Küche große Glaswände hat und damit so ziemlich nichts darin verbirgt, auch am Türknauf selbst baumelt ein kleines, blaues und überaus fusseliges Etwas. Drinnen treffe ich sogleich auf Yoshimi aus 408, die sich gerade Udonnudelsuppe mit einem Spiegelei zubereitet.

Ich frage sie als Eisbrecher gleich nochmal, ob ich wirklich alles, auch die so nett aufgestapelten Pfannen und Töpfe, benutzen könnte. Ich darf, und die Arme wird mich für den Rest des Essens auch nicht mehr los. Doch zumindest deutet nichts darauf hin, dass ihr meine Gesellschaft besonders viel ausgemacht hätte. Wir schwatzen über die Uni und ihren letzten Trip nach Italien, von dem sie seit gestern wieder zurück ist. Ich versuche möglichst viel über sie zu erfahren, und nicht allzu sehr in die „Der Ausländer erzählt wo er her kommt und was er da so macht“ Leier abzugleiten. Gemeinsam wird über Italiener gelästert, ich erfahre interessante Hinweise auf die „Keine Männer im Wohnheim“ Regel, und wir essen zusammen.

Yoshimi erzählt mir, dass sie im 4ten Semester Kommunikation studiert und eigentlich aus Ôsaka kommt. Nach einem suggestiven: „Oh, in Ôsaka war ich ja noch nie. (Kleine Notlüge und eigentlich trotzdem wahr)“ läd sie mich ein, bei Gelegenheit gemeinsam hinzufahren. Noch ist das völlig unverbindlich, wie ich ja weiß, aber wenn wir uns noch ein paar Mal sehen, wird das konkreter geplant. Die Gelegenheit lasse ich mir doch nicht entgehen.

Außerdem erzählt sie mir, dass sie später gerne Mutter werden will, aber gleichzeitig weiter arbeiten möchte. Nun, mit einem Kind kann ich nicht dienen, aber dafür kann ich ja erzählen, dass es trotzdem in unserer Familie bald Zuwachs geben wird. Danach ist die Stimmung gleich nochmal herzlicher und wir tauschen uns darüber aus, was an Kindern so drollig ist, wie japanische Kindernamen ausgewählt werden, und dass Paare in wilder Ehe in Japan nicht besonders gut angesehen sind. Am Ende schenke ich ihr noch zwei Schokoladentaler (die sind GOLDWERT) und wir sortieren ihre mitgebrachten Eurostücke nach Ländern. Nun kann ich gut gelaunt noch etwas lesen und dann schlafen gehen.

Vor einigen Tagen sind meine Vorräte an Shampoo und Spülung im Reiseformat (ergo, wenig Inhalt für viel Geld) zur Neige gegangen und ich zog los, auf der Suche nach irgendwas für Farbe, und gegen eine Frisur, die selbst Einstein neidisch gemacht hätte. Wie schwer kann das schon sein? 

In der kleinen Drogerie, zwei Nebenstraßen weg und fünf Preiskategorien billiger, findet sich auch gleich eine ganze Regalreihe mit bunten Flaschen (oder Tüten) in allen erdenklichen Farben und Formen. Leider war der Inhalt weitaus weniger differenziert. Ich nahm die erste Flasche aus dem Regal, und las (mit Lippenbewegung langsamer als ich eigentlich sollte) da-me-gi ka-ru. Aha, Damage Care. Nun ja, so schlimm ist es nun auch noch nicht. Suchen wir mal weiter. 
Nächste Flasche, diesmal bestechend durch ein leuchtend rotes Design und viel Inhalt. E-ku-su-tu-ri-mu da-me-gi ke-ru. Extrem Damage Care. Ok, das hat schon irgendwie Sinn, stehen ja auch fast nebeneinander, die Flaschen. Nachdem ich also 10 Schritte entlang des Regals gewandert bin, wird ein erneuter Versuch gestartet. 

Gu-lo-shi sha-i-n da-me-gi ke-ru. Was zum? Glossy Shine Damage Care? Langsam wird mir bewusst, wie blöd ich gerade aussehen muss. Versetzt in die Perspektive eines anderen (japanischen) Kundens steht da eine blonde Ausländerin vor den Shampoos, nimmt eine Flasche aus dem Regal, starrt sie für mehrere Minuten Selbstgespräche führend an , nur um sie dann mit einem Kopfschütteln zurück ins Regal zu stellen und sich die nächste zu greifen. Kein Wunder, dass sich niemand sonst an das Regal wagt. 

Aber das kann doch nicht sein. Inzwischen kann ich das katakanische Wort Damage auch von weitem Lesen und springe hastig vor dem Regal hin und her. Alles nur Damage repair. ALLES. Ich suche eine weitere Regalreihe mit Produkten, vielleicht war das hier eine Sonderaufstellung. Nein, kein andere Teil des Ladens für Shampoo. Nur Damage Care. 

Und eine winzige Abteilung für Herren, die ich lieber nicht inspizieren möchte. Am Ende kaufe ich das billigste da-me-gi ke-ru verfügbar, schmeiße noch eine Packung Froschseife (für 100 Yen im Angebot) dazu und verlasse verwirrt den Laden. WAS machen die hier mit ihren Haaren, dass sie sich nur für Damage Care interessieren?
 
Uhu... über 80 neue Photos. Naja, wie gesagt, Wetter und Umgebung waren TOP.


Samstag, 10. September 2011

I am back! / insert Schwarzenegger Imitation/




So, nachdem die ganze Aufregung erst einmal wieder vorbei ist, werde ich nochmal ein wenig was von gestern erzählen. Bus fahren macht Spaß. Wirklich, sogar, wenn man wie ich zur Hauptverkehrszeit Samstag Mittag wie eine Sardine eingepfercht dasteht. So kann man wenigstens nicht umfallen! Und diese Shijo Dori (Straße) ist wirklich eine Wucht. Nicht nur der ganze Straßenzug voll mit Geschäften, sondern auch eine riesige Art von Markthallensystem, von dem ich mir nur einen Bruchteil anschauen konnte, weil es so weitläufig ist. Und natürlich selbst da in der Mitte ein Schrein.

Auch meine Handy-Recherche konnte ich schon starten. Das Problem ist wohl, dass fast keine Handys ohne Vertrag oder Prepaid Zugehörigkeit verkauft werden. Das heißt: Sobald ich Japan wieder verlasse, wird das Ding unbrauchbar. Und wenn ich ein Handy mit Vertrag nehme, komme ich mit der kleinsten Standartrate immer noch auf mehr als 50 Euro im Monat. Für einen Prepaid verwöhnten 20 Euro über 3 Monate Strecker wie mich ist das wirklich etwas teuer. Natürlich habe ich beim letzten Mal in Japan sicher noch mehr bezahlt (dunkel schwebt mir die damalige monatliche Rate von 70 Euro vor den Augen), aber ein wenig Preissturz sollte wohl drin sein, oder nicht?

Prepaid Handys habe ich bisher nur bei AU gefunden, doch die haben nicht mal die Handy zu Handy E-Mail Funktion. Das muss als mindestes schon sein. Meine letzte Hoffnung ist „Softbank“, ein weiterer Anbieter, der anscheinend auch Prepaid Handys hat. Aber von dem Wunsch, ein Smartphone zu kaufen, muss ich mich wohl verabschieden. Erst für viel Geld kaufen, und dann nach einem Jahr unbrauchbar, nein danke.

Eine weitere neue Errungenschaft meinerseits ist übrigens ein Ausgaben-Buch. Darin versuche ich jetzt ein Haushaltsbuch zu führen. Mit den ganzen Einkäufen und schönen Sachen um mich rum, will ich nicht den Überblick verlieren. Also saß ich gestern Abend (Netbook war ja eh aus) da und habe die Ausgaben der ersten 3 Tage in Japan gegen mein mitgebrachtes Geld aufgerechnet.

Erschreckend. Wirklich, wenn man sich das vor Augen führt, wie viel Geld ich in ganzen 3 Tagen verbraucht habe! So kann das nicht weitergehen. Manche der Einkäufe waren zwar einmalige Sachen, die am Anfang für die Einrichtung in Japan einfach anfallen müssen, aber insgesamt waren die Posten einfach zu hoch. Wenigstens habe ich jetzt mal eine Aufstellung gemacht und kann mich außerdem guten Gewissens der Illusion hingeben, dass mir das beim Haushalten helfen wird.,

Heute bin ich wie gesagt zu Big Camera gegangen, eine der großen Elektromarktketten in Japan. Bevor mein Rechner gestern abend schlapp gemacht hatte, konnte ich noch googeln, das sich die nächste Filiale in der Nähe der Kyôto Station befinden soll. Einige der Busse in der Nähe unseres Wohnheims fahren zum Glück direkt dahin. Bezahlen muss ich immer 220 Yen pro Fahrt, egal wie lange und wohin, was relativ günstig ist, doch auf die Dauer auch ins Geld geht.

Deswegen schaue ich mich jetzt auch nach günstigen Fahrrädern um. Die billigsten in einem kleinen Shop in einer noch kleineren Seitengasse unseres Viertels kosten um die 7.000 Yen. Das sind aber mehr als 60 Euro und damit auch nicht gerade billig. Irgendwo in der Nähe soll noch ein Fahrradverleih sein, mal sehen wie viel die da verlangen.

Aber zurück zu meinem heutigen Ausflug. Am Kyôto Bahnhof angekommen, erschlägt mich nicht nur fast die Hitze, sondern auch die Menge an riesigen Hochhäusern mit unendlich vielen Geschäften. Zwischendrin ist mir noch etwas mulmig geworden, ob denn alles auch am Sonntag aufhaben würde. Doch auf der langen Busfahrt kann ich mich wenigstens davon überzeugen, dass vielleicht nicht jeder kleine Laden am Sonntag öffnete, wohl aber jedes Kaufhaus und jeder Supermarkt.

Erstmal überquere ich eine Kreuzung auf gut Glück und laufe dabei doch gleich einem Zettelverteiler von Trommelwirbel Big Kamera in die Arme. Der wird natürlich sofort befragt und kann mir nach einem anfänglichen Schock (Eine Ausländerin guckt mich an, sie spricht mich an, sie tut dies in Japanisch) auch eine tolle Wegbeschreibung liefern. Japaner sind gut im Weg beschreiben, jedenfalls leite ich diese These aus der Schnittmenge der von mir dahingehend geprüften Japaner ab. Und das waren nicht gerade wenige bisher.

In Big Kamera angekommen nehme ich auf jeder Etage mehrere Mitarbeiter in Beschlag, die mir helfen sollten. Wohlweißlich habe ich alle problematischen Kabel dabei und kann sie aus dem Hut zaubern, wann immer jemand sich mit der Frage nach mehr Informationen aus der Affäre ziehen will.

Zumeist läuft das so ab: Ich betrete eine Etage, stelle mich demonstrativ in die gefühlte Mitte der aufgebauten Regale und mache das Gaijin-Gesicht. Das Gaijin Gesicht ist ein über Jahrhunderte praktizierter und überlieferter Gesichtsausdruck ortsunkundiger Reisender, die auf Hilfe von Einheimischen hoffen. Es besteht aus unsicher zusammengekniffenen Augen, einer seitlichen Schräglage des Kopfes (auch Welpenknick genannt) und einem in der Andeutung von Konzentration halb offen stehenden Mund. Außerdem ist es hilfreich, dabei generell so hilflos und mitleidseregend wie nur möglich auszusehen.

Als sich nun einer der anwesenden Angestellten meiner erbarmt, erklärte ich ihm mein Problem und krame rein prophylaktisch schon einmal meinen Kabelsalat hervor. Nachdem sich besagter Mitarbeiter dann von dem Schock erholt hat, dass ich mein Problem relativ gut und konkret auf Japanisch beschreiben kann, nimmt er mit 2 Verbeugungen meine Kabel an sich und verschwindet Gottweißwohin, um Nachforschungen anzustellen.

Das Ergebnis: Ich bin um einen Fön, ein japanisches Ladekabel für meine Kamera, einen Stromwandler in die richtige Richtung und einen Wecker reicher. (Ich hatte am Tag der Abreise leider den falschen, schon Jahrzehnte alten Wecker gegriffen, dessen Alarm sich nicht mehr einstellen lässt)

Doch, allein das Netbook Ladekabel gib es nicht. Meine Version des Eee PC wird in Japan nämlich nicht verkauft. Also gilt es zu hoffen, dass nicht das Ladekabel selbst, sondern der Stromwandler kaputt ist, und ich verlasse Big Kamera um mehr Yen ärmer, als ich mir in dem Moment ausrechnen will.

Wenig später finde ich eine Treppe, die scheinbar, zwischen Big Kamera und dem Bahnhof, direkt in den Himmel führt. Also erklimme ich an die 5 Stockwerke von Treppenstufen, und stehe schließlich laut schnaufend auf dem Dach des Bahnhofs. Da gibt es einen langen Gang, von dem aus man über die meisten angrenzenden Neubauten hinweg bis zu den Bergen sehen kann. Schön, und sogar etwas schattig.

Am Ende des Gangs stehe ich plötzlich auf einer großen Plattform und inmitten einer Hawaii Tanzaufführung. Jung und alt, Männer und Frauen, bewegen sich zu entspannender Musik im Takt. Sachen gibt’s hier auf den Dächern. Bereits entlang des Weges waren mir zwei Männer aufgefallen, die sich in voller Konzentration ohne Musik bewegten. Anscheinend in Vorbereitung auf ihren Auftritt.

Den Rückweg trete ich schließlich durch das Innere des Bahnhofs an, oder besser durch das Einkaufszentrum mit gelegentlicher Zugabfahrt. Etwas ermattet sitze ich dann erstmal für eine halbe Stunde an den Rolltreppen und schaue mir die Japaner um mich rum an. Heute habe ich nun wirklich gar keinen Ausländer getroffen. Mit einer kalten Flasche Tee versuche ich die Rückfahrt und die damit verbundene Stunde der Wahrheit (Netbook geht oder geht nicht) herauszuzögern und beobachte eine junge japanische Familie mit 3 Kindern. Nein, die sind so drollig! Ein Baby, eins gerade so im Laufalter und ein Mädchen von vielleicht 4 Jahren. Als dann die kleine Familie weiter zieht, und Papa sich nicht nur das Baby umschnallt, sondern auch noch die älteste Tochter an die Hand nimmt, da scheint wenigstens für einen kurzen Moment wirklich alles in Ordnung zu sein. Also habe ich mich zurück nach Hause aufgemacht und kann jetzt mit Beruhigung feststellen, dass alles wieder funktioniert. Nur das Haushaltsbuch muss ich noch schreiben, aber erst später.

Morgen soll es wohl Gewittern und Regnen. Naja, vielleicht schreibe ich dann morgen hoffentlich die letzte ausstehende Hausarbeit fertig.