Trotzdem ningelt die Hausarbeit schon viel zu lange auf meiner Festplatte vor sich hin, also werden die Vorhänge wieder zugezogen und ich beginne zu arbeiten. Nur um dann festzustellen, dass auf dem Netbook mit einem anderen Programm als Microsoft Word meine bisherige Formatierung und Quellenübersicht vollkommen im Eimer sind. Das ist ja ganz wunderprächtig. Also bringe ich Stunden damit zu, das bisher geschriebene Material in neue Ordnung zu bringen, ein weiteres Quellenverzeichnis anzulegen und mich durch die Bedienung eines neuen Schreibprogramms zu kämpfen. Alles nur minder erfolgreich.
Wenigstens der angesagte Regen lässt mich nicht im Stich, bereits gegen Mittag prasselt er unaufhaltsam vor sich hin. Doch dann steht Wei vor meiner Tür und erzählt von einer Welcome Party im angrenzenden Wohnheim. Das trifft sich gut, denn nach diesem sinnfreien Tag steht mir der Sinn nach ein wenig Spaß und vielleicht sogar dem ein oder anderen Glas Sake. Wir gehen noch kurz zum Kombini, um etwas zu Essen zu besorgen und finden uns dann im Partyraum ein.
Ein paar der letzten Plätze ergatternd, können wir die einströmenden Massen an Studenten beobachten, die mit ihren mitgebrachten Speisen den Tisch vollständig in Beschlag nehmen. Und was es alles gibt: Amerikanische Sandwiches, Japanische Kare, Gyôza, Yakitori, deutschen Nudelsalat, taiwaische Hühnerbrühe und koreanische eingelegte Schweinesteaks. Um nur ein paar der Köstlichkeiten aufzuzählen.
Nach dem Essen rede ich mich ein paar netten Japanerinnen und ergattere außerdem ihre Mailadressen. Sie wohnen auch im Richards Haus. Schließlich verliere ich vernichtend gegen eben diese ach so lieben Japanerinnen an der Spielkonsole und als dann ein Amerikaner mit kubanischer Herkunft eine Flasche guten Rum herbei zaubert, geht die Party erst richtig los.
Ich trinke ein Glas 30% Reisschnaps, der wie Hustensaft schmeckt aber aus Okinawa kommt und deswegen ausgetrunken werden muss. Danach noch einen Shot Rum. Irgendwann zwischendrin verteile ich meine ganzen Gummibären, die innerhalb der nächsten Stunde wie Ersatzwährung gegen Alkohol gehandelt werden.
Das heißt, bis ein völlig betrunkener Japaner sich zu mir setzt, anscheinend endlich mit genug Mut (pardon Alkohol) im Blut, um „Konversation“ zu betreiben. Ab diesem Punkt verstehe ich, was mir mein Großvater noch kurz vor der Abreise mit auf den Weg gegeben hat: Ab 11 Uhr abends, in der Kneipe, bei genug Alkohol, sprichst du die Landessprache perfekt und jeder versteht dich.
Unglaublich, aber wahr. Er erzählt mir von Rilke, ich ihm von Nietzsche, und zwei Taiwanerinnen referieren über Konfuzianismus, und warum man das sehr gut mit modernen japanischen Idols vergleichen könne. Als dann der freundliche Junge mit der Rumflasche vorbei kommt, und mir ein paar weitere Shots anbietet, sage ich auch nicht nein.
Ein Gespräch des letzten Abends, an das ich mich noch einigermaßen erinnern kann:
Er: Ich nuschel Theologie.
Ich: Aha, du studiert Theologie, bist du gläubiger Christ?
Er: grinst Und ich lieeeeeebe Rilke. Alllles von Rilke.
Ich: Ah... ja. Was ist dein Lieblingsgedicht von Rilke?
Er: denkt angestrengt nach Also... Blick wird kurz glasig Und ich lerne Hebräisch und Altgriechisch, wegen ausschweifende Handgeste verfehlt nur knapp zwei volle Gläser Theologie.
Ich: Aha, … gut. Erinnerst du dich noch an meinem Namen?
Er: Benedikt?
Ich: … WAS? Das ist ein Jungenname!
Er: Oh.... schenkt mir noch ein Glas Sake ein Prost!
Ich wende mich zu einer Taiwanerin, die neben mir sitzt und eigentlich besser Japanisch kann als ich. Doch da leert sie ein weiteres Glas des 30% Sake und schüttelt nur den Kopf. Sehr hilfreich.
Er: triumphierend, weitere ausladende Geste Du bist Benti!
Ich: gieße mir selbst ein weiteres Glas Rum ein Nah genug. Schluck Ich mag Nietzsche!
Er: Oh, Shakespeare! Den habe ich auch gelesen. wir beide trinken
Am Ende schaffe ich es noch, den Weg zurück über die plötzlich gefährlich steile Holztreppe, hinaus in den Hof mit gefährlich aufgeschichteten Kieselsteinen bis in mein Zimmer zu finden. Wenigstens kein ereignisloser Abend. Und mein Handyadressbuch ist um so viele Namen reicher, denen ich irgendwann morgen hoffentlich noch Gesichter zuordnen kann. Wenn nicht, dann weiß ich wenigstens, mit welchen Leuten man wirklich gut feiern kann.
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