Donnerstag, 31. Mai 2012

Zurück in Kyôto


Heute habe ich mir wirklich die Morgenzeremonie angetan. Um 5:55 Uhr. Doch die Mönche haben im ganzen Tempel schon seit 4 Uhr krach gemacht, also ist an Schlaf sowieso nicht zu denken. Die Zeremonie ist wunderbar, 10 Mönche, die Sutren singen sind schon wirklich etwas ganz einmaliges. Leider heißt diese Zeremonie aber auch, dass ich eine ganze Stunde auf im Kniesitz zubringen muss. Mit mir zusammen nehmen als Zuschauer noch ein Besuchermönch und eine ältere Dame teil. Während der Mönch und ich Kraft unserer Wassersuppe einige Probleme haben, die ganze Zeremonie auf Knien zuzubringen, bleibt die Frau starr und eisern ohne eine einzige Bewegung sitzen. Das nenne ich mal hart im nehmen! Nach der Zeremonie setzt sich ein Mönch zu uns und erzählt uns noch eine sehr nette Geschichte. Ich mache mich dann gegen 8 auf den Weg zu den zwei letzten Stätten meiner Liste. Als erstes geht es wieder bis zum Eingang Kôya-sans, wo ein Tempel für Frauen steht. Wir weiblichen Wesen waren den Mönchen nämlich anscheinend überhaupt nicht geheuer, und durften lange Zeit die heiligen Stätten überhaupt nicht betreten. Diese Tempel wurden an allen Eingängen des Kôya-san errichtet, um den Frauen einerseits einen alternativen Ort des Gebets zu geben, und andererseits sicher zu stellen, dass sich wirklich kein weibliches Wesen in die Anlage schlich.

Außerdem besuche ich die Grabmäler vom dritten Reichseiniger Tokugawa Ieyasu und seines Sohns. Beide sind nun nicht wirklich spektakulär, da eingezäunt und versteckt.

Zurück in meinem Übernachtungstempel werde ich von gleich 10 jungen Mönchen begrüßt, die alle meinen Koffer aus dem Zimmer tragen wollen. Wie soll das denn jetzt funktionieren? Am Ende setzt sich einer durch und die anderen begnügen sich damit, am Eingang auf uns zu warten. Bei meinem Auszug aus… dem Tempel schaue ich noch einmal zurück und sehe alle Mönche kniend auf den Eingangsstufen betend. Ob die ihren Tempel von dem Gaijin reinigen oder für meine sichere Heimkehr beten, wird für immer ihr Geheimnis bleiben. Nett sind sie trotzdem alle gewesen.

Die Weiterfahrt nach Kyôto ist strapaziös. Mit dem Bus zu Kôyasan-eki, mit der Kabelbahn runter zum Fuß des Berges, mit dem Zug nach Hashimoto, von Hashimoto nach Shinimamiya, weiter nach Ôsaka, und dann endlich mit dem Zug nach Kyôto. Die Reise ist vor allem deswegen stressig, weil die Rolltreppen-etiquetten-Linie direkt durch Kyôto Hauptbahnhof verläuft. Nördlich von Kyôto (also in Tôkyô und Hokkaidô), stellen sich die Personen auf die linke Seite der Rolltreppe, während rechts von ihnen die Ungeduldigen vorbei hechten. SÜDLICH und in Kyôto (also auch Großraum Ôsaka), stehen die Menschen auf der RECHTEN Seite, während links die Leute laufen. Mit einem Riesenkoffer in der besten Rushhour ist nicht der Zeitpunkt, um die richtige Etiquette der betreffenden Station herauszufinden. Stress pur!

In Kyôto werde ich zum Glück von Sarah in Empfang genommen. Es kommt mir vor, als wäre ich endlich zuhause. Auch wenn es schwülwarm ist. Wir gehen zu meiner Vermieterin, besichtigen mein neues Zimmer, essen israelisches Essen (lecker!), kaufen das nötigste ein und gehen dann in das öffentliche Badehaus des Viertels. Jetzt werde ich mich erst einmal etwas entspannen.

Mittwoch, 30. Mai 2012

Kôya-san


Ok, der heutige Eintrag wird etwas kürzer ausfallen, denn ich bin laut Karte über 8 Kilometer auf dem Berg Kôya-san gewandert. Warum suche ich mir immer die schlimmsten Routen aus? Zunächst geht es frühmorgens mit dem Zug los gen Höllenziel. Das heißt zunächst von Kôbe nach Ôsaka, von Ôsaka im besten Berufsverkehr nach Shinimamiya, von Shinimamiya bis zur Station Kôyasan, weiter mit einer Kabelbahn zum Eingang des eigentlichen Komplexes hoch auf dem Berg, und schließlich mit dem Bus bis zur Touristeninformation. Man kann sich vorstellen, ich bin schon jetzt bedient.

Die Touristeninformation vermittelt mir zum Glück ein Zimmer in nächster Nähe, ich wuchte meinen Koffer im Tempel angekommen ein Stockwerk höher und suche mir noch schnell eine weitere Jacke. Dabei fällt mir auf, dass mein Hase fehlt. Ich habe ihn Kôbe vergessen. So geht das natürlich nicht. Im Hotel angerufen, ist er zunächst unauffindbar. Dann zum Glück Entwarnung. Wenn ich morgen meine neue Adresse in Kyôto habe, wird er mir nachgeschickt.

Mit einigen Rabattgutscheinen und dem erklärten Kampfziel, alle Tempelkomplexe und Grabmäler heute zu Fuß zu besichtigen, geht es los. Zunächst zum Hauptempel, dessen Inneres wunderschöne bemalte Schiebetüren hat (die man nicht fotografieren darf!), und den größten Steingarten Japans. Außerdem gibt es eine ganz alte Kochstelle, über der die Mönche noch heute ihre Mahlzeiten zu besonderen Anlässen zubereiten. Die Geschichte des Gründers der gesamten Tempelanlage Kukai wird auf den Schiebetüren wundervoll illustriert. Ganz mein Stil, ohne Jahreszahlen macht Geschichte viel mehr Spaß!

Die nächste Station ist ein Tempelkomplex mit einigen tollen Pagoden. In eine darf man auch rein, leider herrscht aber wieder striktes Fotoverbot. Bei den riesigen goldenen Buddha Statuen reiße ich mich noch zusammen, aber einen grimmig dreinblickenden Bodisattwa nebst Säulengemälde knipse ich dann doch. In der ganzen Anlage scheint es mir, als würde ich von Schülergruppen verfolgt. Wenigstens einmal sind sie ganz nützlich, als sie den drehbaren Teil einer kleinen Pagode bewegen.

Am großen Eingangstor weckt ein Bergpfad meine Aufmerksamkeit. Ich klettere und klettere, doch irgendwann kommt heraus, dass der Pfad eine Sackgasse ist. Wie blöd!

Zurück geht es einmal quer durch die Anlage, vorbei an einem sehr indisch aussehenden Tempel, schlafenden Buddhas am Wegesrand und einem Tempel, der der Ehrung von Mutter und Vater gewidmet ist. Falls man die Geschichte dieses Tempels nicht kennt und keine Hinweisschilder liest, kommt man trotzdem nicht an der Kernaussage vorbei. Ein Mönche ruft allen eintretenden Personen „Ehrt eure Eltern, hört auf sie! Und wenn ihr Großeltern habt, dann ehrt diese noch viel mehr!“ zu. Gut, wäre das auch geklärt. Die Geschichte ist dann wieder erwarten wirklich deprimierend und für mich etwas frustrierend.

Ein junger Krieger beeindruckt einen Lord und bekommt dessen Tochter zur Frau. Leider verliebt er sich aber während eines Gewitters in eine andere und macht sie zu seiner Mätresse. Die beiden Frauen scheinen oberflächlich miteinander klarzukommen, doch die Ehefrau gibt schließlich den Mord der anderen in Auftrag. Außerdem sieht der Krieger, wie sich bei einem Brettspiel die Haare der beiden in Schlangen verwandeln. Er sieht seinen Fehler ein, entsagt der Welt und wandert zum Kôyasan um Mönch zu werden. Die gefährdete Mätresse flieht aus dem Anwesen, sucht im Tempel Unterschlupf und gebiert einen Sohn. Beide machen sich schließlich auf den Weg, den Vater des Jungen zu suchen.

 Am Kôyasan wird der Mutter jedoch der Eintritt verwehrt, und ihr Sohn muss den Vater allein suchen. Er fragt jeden Mönch nach seinem Vater, bis er schließlich selbigen selbst fragt. Der Vater fürchtet jedoch, dass sein bisheriger Weg zur Erleuchtung in Gefahr sein könnte, und sagt dem Jungen, dass der Mann, den er suche, tot sei. Der Sohn kehrt deprimiert an den Fuße des Kôyasan zurück, nur um zu erfahren, dass seine Mutter inzwischen verstorben ist. Er besteigt den Berg erneut, wird zum Mönch und verschreibt sich an der Seite seines Vaters den Lehren Buddhas, ohne bis an sein Lebensende von der wahren Identität des Mönches zu erfahren.

Nach dieser Geschichte mache ich mich auf den Weg durch die Friedhofsanlage hinauf bis zur Grabstätte Kukais. Und dieser Weg hätte mich beinahe geschafft. Knapp zwei Kilometer stetig bergauf, über Treppen und Huckelpiste. Nur ein vorbeieilender Mönch zwingt mich schließlich, nicht vorzeitig aufzugeben. Leider herrscht in der gesamten Grabanlage des Gründers mal wieder Fotoverbot. Aber es gibt ganz viele leuchtende Laternen, die darstellen sollen, dass Kukai in Ewigkeit meditiert und über seine Schüler wacht.

Den Rückweg schaffe ich dann auch irgendwie, und komme zeitgleich mit dem Mönch am Eingang der Grabanlage an. Wir nicken uns zu, er segnet mich, und geht dann seinen Weg. Jetzt werde ich erst einmal im Bad einweichen, und danach diesen Eintrag und die Bilder hochladen. Internet gibt es nämlich, aber nur in der Lobby. Bleibt nur noch die Frage, ob ich es morgen früh um 5:55 Uhr schaffe, zur Morgenzeremonie zu erscheinen. Einmal muss man das ja doch mal mitgemacht haben, oder?

Dienstag, 29. Mai 2012

Kôbe 2.0


Wie bereits durch den Wetterbericht angekündigt, ist es heute schwül und heiß und die Wolken ballen sich unheilverkündend über der Stadt zusammen. Doch, getreu meinem mathematisch einwandfreien Mottos: „60% sind nicht 100% Regenwahrscheinlichkeit“, mache ich mich ohne einen Schirm zu kaufen auf den Weg.

Als erstes geht es zum Port Tower, damit der Höhenambivalente Teil meiner Reise ein baldiges Ende hat. Es geht wie immer mit einem Fahrstuhl nach oben. Ich bin die erste im Kasten, und werde von einer Gruppe hereinströmender Japaner flach gegen die Rückwand gedrückt. Das wäre ja an sich noch kein Problem, wenn sich dies nicht als Glaswand mit Blick zwischen den Stahlträgern des Turms entpuppt hätte. Doch mit den ganzen Leuten im Aufzug kann ich mich noch nicht mal umdrehen. Hölle! Oben mache ich dann schnell ein paar Fotos, bewundere die aufgereihten Schlösser (Kôbe ist eine Honey Moon Stadt. Die Neuverheirateten kommen her, schreiben ihre Namen auf das Schloss und hängen es oben im Turm auf), und mache mich danach so schnell es geht wieder an den Abstieg.

Kaum verlasse ich den Tower, fängt es nicht nur an zu Donnern und zu Blitzen, nein, es regnet auch noch wie aus Kannen. Schnell wird also im nächsten Konbini ein Regenschirm besorgt, und es geht weiter. Die nächste Station in unmittelbarer Nähe heißt TenxTen. Ein großes Lagerhaus, in dem sich lokale Künstler angesiedelt haben sollen. Doch anscheinend ist für lokale Künstler 10 Uhr noch zu früh, denn ich treffe kaum jemanden. Auch die meisten Räume sind verlassen. Eine Enttäuschung. Merke: Künstler sind keine Frühaufsteher.

Durch Regen und Donner geht es weiter zum Perlen Museum. Kôbe wird auch als Die Stadt der Perlen bezeichnet. Obwohl hier keine Perlen gezüchtet wurden, ist Kôbe bis heute nicht nur Umschlagplatz für den japanischen Perlenexport, sondern auch Standort der Perlenveredelung. Um 1900 fand ein arbeitsloser Kaufmann in Kôbe eine Methode, um Perlen mit Unreinheiten oder Flecken von selbigen zu befreien. Seine Methode wurde in ganz Japan bekannt, und Perlenfarmer schickten ihm immer mehr ihrer Ware zur Bearbeitung. Der clevere Herr machte daraus nicht nur seinen Beruf, sondern setzte sich selbst auch als Perlenhändler ein. Besonders der Vertrieb ins Ausland war ihm wichtig. So wurde Kôbe zum internationalen Umschlaghafen für Perlen, und wenig später auch zum ersten Perlen-Qualitätskontrollpunkt in Japan. Die Perlen sind wirklich hübsch, aber soweit außerhalb meines Budgets, dass es schon fast lachhaft ist.

Der Himmel klart gegen Mittag zum Glück wieder auf, sodass ich bei bestem Sonnenschein und mollig warmen 26 Grad durch Nankin Machi, das Chinatown von Kôbe, schlendern kann. Dort esse ich Früchte am Spieß, ein kleines Schweinmanju und ganz leckeres Erdbeereis. Außerdem lasse ich mich neben einem riesigen, fetten Hasen fotografieren. Sowas macht einen schlanken Fuß ;)

Nachdem auch das letzte bisschen Eis vertilgt ist, steht eigentlich eine weitere Tour durch Kôbes Schreinanlagen an. Doch auf halber Strecke kreuzen plötzlich zwei Stelzenläufer meinen Weg. Zunächst folge ich denen nur, um endlich eine Frontalaufnahme zu bekommen. Wenig später stellt sich aber heraus, dass es sich um ein vollständiges Schauspiel handelt, inklusive nackter alter Männer, Zuschauer erschrecken und Kinder zum Weinen bringen. Ich habe unglaublich viel Spaß dabei, und für den Rest des Tages „Those were the days my friend.“ als Ohrwurm. Für mich ist interessant, wie sehr die Schauspieler mit den Zuschauern spielen. Besonders der ältere Herr macht sich einen Spaß daraus, die anwesenden Schüler mit großer Klappe gehörig zu erschrecken. Auch die Frauen sind eindrucksvoll. Nur die Kamerafutzis, die ihnen immer mal wieder gehörig auf die Pelle rücken, sind nervend. Ich weiß, wie ein Zoom funktioniert. Warum können die ihn mit ihren riesigen Kameras nicht auch benutzen?

Nach der gelungen Darbietung darf ich mal wieder etliche Stufen zu einem Schrein raufsteigen. Es scheint ja überhaupt meine Lieblingsbeschäftig zu sein, Berge zu erklimmen. Nein, wie sehr mich das auch immer wieder freut. Oben angekommen wird klar, Kôbe hat das mit der Honey Moon Stadt wirklich verinnerlicht. Überall gibt es Liebes-Anhänger, Liebestafeln, Liebesbier und was weiß ich nicht alles. Liebesboten dieses Schreins sind übrigens ein rosa Koi und eine Kuh. Merke: Es muss nicht immer der fette Babyengel sein.

 Der Weg zurück ins Tal führt mich nicht nur vorbei an einem indischen Tempel, sondern auch einem Souvinirladen mit besonders süßem Gebäck. So langsam kann ich ja auch Essbares für die Daheimgeblieben mitnehmen. Die Verkäuferin ist ein echtes Unikat. Kaum habe ich meinen ersten japanischen Satz von mir gegeben, plappert sie wie ein Wasserfall auf mich ein. Also, die Frau nimmt wirklich kein Blatt vor dem Mund und spricht in einer solchen Geschwindigkeit, dass ich keinerlei Zeit zum Nachdenken habe. Frage! Antwort! Frage! Antwort! Kopfnicken! Wuttriade auf den Neffen! Und wiedermal endet das Gespräch mit folgendem Satz: Mädchen, du kannst Japanisch und hast weiße Haut. Such dir einen japanischen Ehemann, dann musst du dich nicht mehr um das Visa sorgen! Ja doch, ich hab’s langsam verstanden.

Am Abend besinne ich mich dann darauf, dass Kôbe neben Perlen und westlichen Gebäuden auch noch für eine andere Sache weltberühmt ist. Kôberind. Ich suche mir also eine nette, kleine Gaststätte, nehme ein kleines Vermögen aus meiner Reisekasse in die Hand, und esse Kôbe Rind. Hach, das ist schon was ganz anderes. Was ganz, ganz anderes.  

Montag, 28. Mai 2012

Kôbe


Ein kurzer Nachtrag noch zu gestern Abend. Ich habe natürlich das Geld der älteren Frau in die Hand genommen und mir ein gutes Sushirestaurant gesucht. Gegen 9 Uhr bin ich da aufgeschlagen, und dachte mir noch nichts dabei. Ich bin dann wirklich bis Ladenschluss (Mitternacht) geblieben, habe mit den Sushimeistern geschwatzt, kostenlosen Nachtisch und „Wegproviant“ in Gestalt einer Jumbo Maki Sushi Rolle bekommen. Wir haben über Gott und die Welt geredet, und ich habe überhaupt nicht bemerkt, wie die Zeit verging.

Heute Morgen gibt es einiges zu tun. Zunächst muss das (hoffentlich letzte) Paket nach Kyôto zur Post. Dann der Koffer gepackt und ausgecheckt werden. Dabei laufe ich einem Zimmermädchen in die Arme. Sie ist ganz aufgeregt und kramt nach ihrem Handy. Ich hätte doch den Hasen auf meinem Bett. Plötzlich wird mir ein Handyfoto gezeigt, auf dem ich fast meine, genau denselben Hasen, nur in Realversion zu sehen. Sie haben einen Hasen in genau der Farbe, und ob mein Plüschtier aus Japan stamme. Ich muss leider verneinen, bestätige aber, das ihr Häschen ganz unglaublich süß ist. Schließlich gab es noch so einen Hasen.

Dann wird es kompliziert. Zunächst war der Plan, heute den gesamten Tag in Takamatsu zu verbringen, und dann um ein Uhr nachts mit der Fähre nach Kôbe überzusetzen.  Mit meinem Monsterkoffer und einem unausgereiften Plan für die Stadt, entscheide ich mich aber gegen diese Route. Also wird ein Bus Ticket gekauft und noch schnell in Konbini bezahlt. Außerdem buche ich mein Hotel in Kôbe zusätzlich einen Tag früher. Als nächstes gilt es, die Bushaltestelle zu finden. Das stellt sich als „leicht“ schwierig heraus. Nachdem ich etwas irritiert durch das Viertel wandere, frage ich schließlich eine Frau vor einem großen Supermarkt. Sie erklärt mir, dass ich in dem völlig falschen Teil von Naruto bin. Und es sind nur noch 20 Minuten, bis der Bus abfährt. Sie sieht meine Panik und bietet an, mich hinzufahren. So schaffe ich es noch rechtzeitig, und kann sogar noch mit einer kleinen Seilbahn zur Haltestelle fahren.

In Kôbe angekommen, trifft mich fast der Schlag. Es ist schwül warm und für morgen ist Gewitter angesagt. Auf dem Weg zum Hotel finde ich aber eine Touristeninformation mit Tonnen an Infomaterial, und einem Rabattbuch für ausländische Touristen. Gimme Gimme! Schließlich dank Hotellagerung ohne Monsterkoffer, mache ich erst einmal die Umgebung von Sannomiya unsicher. Es gibt einen japanischen Schrein, einen chinesischen Schrein, ein buddhistisches Sektenhaus, UND eine Volkswagenfiliale. Alle Wagen dort sind zwar auf Hochglanz poliert, aber kein einziger hat Gangschaltung. Der japanische Schrein hat übrigens zwei Hundestatuen als Glückbringer. Der eine hält eine Rolle mit Geld im Maul, der andere einen Reiskuchen. Ich glaube, es  ist eindeutig, welcher von beiden der glücklichere Hund wäre.

Ich treffe außerdem auf eine Kerzenmacherin, die mir nicht nur ein paar Kerzen schenkt, sondern auch eine sehr lustige Überraschungskerze hat, die ich mitnehme. Außerdem wandere ich durch eine traditionelle japanische Parkanlage des früheren Bürgermeisters von Kôbe. In diesen Park wurde auch der Teil eines Bootes aus dem 17ten Jahrhundert gebracht, um ihn zu erhalten. Dieses spezielle Boot wurde von einem Daimyô in Himeji (übrigens das Schloss, dessen Namen meine Mama vergessen hat) benutzt, um nach Edo zu reisen. Später wurde das Boot zerlegt und die Kabine an Land als Teehaus benutzt (das nenne ich mal Ressourcen schonend). Nun steht die Kabine also in diesem Park. Ich würde meine Zeit inmitten des schattigen Grüns gern genießen, leider besteht der Wegbelag aus ganz  spitzen kleinen Steinchen, die mir ständig in die Sandalen rutschen. Autsch!

Nach 4 Stunden Fersengeld über harten Asphalt (übrigens ist leider auch Kôbe an einen Berg gebaut worden), kann ich nicht mehr. Mit einem billigen Abendessen ziehe ich mich aufs Zimmer zurück und hoffe, dass es morgen nicht ganz so trüb und schwülheiß wird. Falls doch, werden eben ein paar Museen in Kôbe unsicher gemacht.

Sonntag, 27. Mai 2012

Naruto


Naruto ist toll! Auch wenn ich keine der Attraktionen wirklich so sehen konnte, wie sie am schönsten sind. Zunächst geht es per Linienbus zur berühmten Observationsbrücke, mit Glasboden zum Beobachten von Wasserwirbeln. Ok, das klingt jetzt nicht besonders toll, aber auf Fotos sehen diese Mini Wirbelströme wirklich cool aus.

Den Bus teile ich mir übrigens mit einer großen Gruppe Grundschüler. Und zwei davon schaffen es, sich trotz großem Gedränge der anderen neben meinem Sitzplatz zu halten. Der etwas ältere fängt dann schließlich ein Gespräch an, und ich bin überrascht, wie offen und selbstbewusst die beiden sind. Sie können nicht älter als 8 gewesen sein (obwohl, bei japanischen Kindern alle Angaben ohne Gewähr), aber fragen mich ohne Scheu nach meiner Reise, Deutschland, und erzählen mir sogar einiges über Naruto. Im ersten Weltkrieg wurden hier nämlich deutsche Soldaten in einem Gefangenlager inhaftiert. (In der Kindervariante klang das natürlich etwas anders: Und da haben Deutsche hier gewohnt. Die durften aber nicht aus ihrem Haus raus. Und dann haben sie sich mit den Japanern gut verstanden und sogar zusammen Musik gemacht.) Danach lese ich es nach und tatsächlich: deutsche Kriegsgefangene in Naruto. Was hatten die denn im ersten Weltkrieg hier zu suchen? Jedenfalls haben die sich anscheinend schnell mit den Einwohnern angefreundet und ein gemeinsames Orchester gegründet. Dieses Orchester hat dann zum ersten Mal in Japan Beethovens 9. Aufgeführt.

Die Brücke an sich ist sehr eindrucksvoll und ich suche fieberhaft nach den angepriesenen Wasserwirbeln. Es kommt dann heraus, dass diese nur zweimal im Monat wirklich gut sichtbar sind. Na gut, trotzdem ist das über den Steinen brechende und in Strömen verwirbelnde Wasser hübsch. Ich rede kurz mit einem Guide der Anlage, und er sagt mir, es würde in 20 Minuten eine Aufführung lokaler Tänze geben. Da stelle ich mich natürlich gleich in beste Zuschauerposition. Bei der Ankündigung der Tänzer muss der Guide dann natürlich erwähnen: „Und wir haben auch einen Zuschauer aus Deutschland dabei. Bei Ausländern ist unsere Brücke sehr berühmt.“ Na gut, die Tänze sind toll, und ich habe auch einige Videos gemacht. Am Ende dürfen sich die Zuschauer dann auch in eine Art japanische Polonäse mit einreihen. Da kommt richtig Stimmung in die… Brücke.

Während meiner Wanderung über die Brücke bin ich irgendwie besonders guter Dinge. Zuerst ist nicht klar warum, bevor es mir auffällt: Die haben hier durch die ganze Anlage Musik laufen. Und zwar nicht irgendeine Musik, nein, das Pokemon-Theme, von der langen Brückenüberquerung (Für Kenner, jene Brücke, über die man endlos lange mit dem Rad rüberfahren musste).

Sonst gibt es in der Umgebung nicht viel draußen zu sehen, also mache ich mich auf den Weg zurück. Die nächste Station ist der erste Tempel der 88 Stätten Pilgerreise auf Shikoku. Wir erinnern uns, einige dieser Tempel habe ich schon außerhalb der Reihenfolge besucht.

Der Weg dorthin ist recht weit, also geht es mit der Bahn weiter, Umstieg inbegriffen. Auf dem Umsteigebahnhof werde ich dann von einer Gruppe älterer Herrschaften angesprochen. Eine der Frauen hat 5 Jahre in Deutschland gelebt und alle sind wirklich freundlich. Es kommt raus, die 3 Männer sind Brüder, die mit ihren Ehefrauen über ganz Japan verteilt leben, und sich nun im Ruhestand jedes Jahr im Heimatort eines Bruders treffen, um dort die Umgebung gemeinsam zu erkunden. Wir haben viel Spaß, und sie entscheiden sich sogar, mich noch zum Tempeleingang zu bringen, bevor sie sich zu ihrem Tagesziel aufmachen. Der eine Herr mit Brille liest mir den Familiennamen jedes Hauses, an dem wir vorbeikommen vor, um mir die verschiedenen Lesungen zu zeigen. Zunächst glaube ich, dass davon nichts in meinem Kopf hängengeblieben ist. Doch den Rückweg zur Bahnstation finde ich nur deshalb, weil ich mich an den gelesenen Familiennamen orientieren kann. Wer hätte gedacht, dass das funktioniert?

Der Tempel ist wunderschön, und hat neben unendlich fetten Kois (die ich natürlich pflichtbewusst ebenfalls füttere), auch tolle Laternen und Statuen zu bieten.

An der Bahnstation treffe ich dann meine alten Leutchen wieder und wir machen uns gemeinsam auf den Rückweg nach Naruto. Ich korrigiere ein paar Sätze für die eine Frau, die bald ein Telefongespräch mit Deutschen führen muss. Als wir uns schließlich in Naruto verabschieden, zieht mich eine der Frauen noch einmal beiseite. Im nächsten Moment hat sie mir auch schon ein paar Scheine in die Hand gedrückt. Als ich versuche zu erklären, dass das nun wirklich zu viel des Guten ist, meint sie nur: „Ich habe mich so gut mit dir unterhalten, dass hat wirklich Spaß gemacht. Und wir hätten dich sonst zum Essen eingeladen. Leider müssen wir noch weiter. Also kauf‘ dir heute Abend was Schönes zu Essen dafür.“ Sprach‘s, und ist im nächsten Moment auch schon mit ihrem Ehemann in einem Taxi verschwunden. Zurück bleibt nur ein völlig überraschter Ausländer. Nur gut, dass wir Adressen ausgetauscht haben. So kann ich ihr von Deutschland aus einen schönen Brief schreiben.

PS: Ich lade das Video mit Zusammenschnitten der Tänze mal auf Youtube hoch. Der Link folgt also. Die ersten Tänze sind noch sehr ruhig, doch dann nimmt das Ganze wirklich Fahrt auf.
http://youtu.be/jF5-O62HroE

Freitag, 25. Mai 2012

Kanpirasan (Nachtrag da internetlos im Tempel)


Ich liebe mein neues Zuhause im Tempel, aber nachts ist es hier gruselig. Ich bin der einzige Gast, die Haushältern und Mönche leben in einem anderen Trakt, also bin ich in diesem Teil des Tempels völlig allein. So ein hölzerner Tempel knackt nachts, die Schiebetüren klappern und nachtaktive Tiere tapsen über die Veranda. Ganz zu schweigen von den Schatten, die über die papierbespannten Wände wandern. Da überlege ich mir schon zweimal, ob ich nachts raus muss. Auch die ganzen langen Korridore sind malerisch, aber ebenso verwirrend. Manchmal höre ich in meinem Kopf schon „Und hinter Tür 3 versteckt sich…!“, wenn ich wieder statt in meinem Zimmer in einem Gebetsraum, der Toilette oder der Besenkammer stehe. Ich könnte schwören, dass dieses Gebäude zu 80% aus Türen besteht.

Heute werde ich vom prasselnden Regen geweckt. Na super, beste Voraussetzungen für meinen Besuch in Kotohira. Doch mit einem geborgten Schirm geht es trotzdem zum Zug. In Kaiganji gibt es keinen Ort zum Frühstücken, also verschiebe ich meine erste Mahlzeit auf „nach der Ankunft“ in Kotohira. So lange dauert die Fahrt ja auch nicht. Leider werde ich dort  mit einem altbekannten Problem konfrontiert. Es ist 9 Uhr, und kaum ein Geschäft hat auf. Während ich mich also entscheide, auf leeren Magen keine Udon in Soyasoße zu essen, geht es ohne Frühstück an den Aufstieg.

Mein Ziel ist der Kanpirasan, ein Schreinkomplex mit vielfältiger Verwendung. Berühmt als Wahlfahrtsort für Seefahrer, und außerdem bekannt für seine speziellen Schreine nach Geburtstierkreiszeichen, ist er wohl der bekannteste Schrein in Shikoku. Außerdem ist er der am schwersten zugängige Schrein in ganz Japan. Frei nach dem Motto „Die Japaner übertreiben mal wieder“, mache ich mich trotzdem an den Aufstieg.

Die ersten Treppen sind ja noch kein Problem. Und da oben sehe ich auch schon einen Schreinkomplex. So weit ist das doch gar nicht. Nach einem Beweisfoto vor dem vermeintlich obersten Schreintor stehe ich plötzlich vor noch mehr Treppen. An deren oberen Ende winkt wieder hämisch ein Schrein-Plateau. Ok, nun hat mich der Ehrgeiz gepackt und es geht weiter nach oben. Diesmal stehe ich an dem Schrein für die Pferdegeborenen. Wie passend, also wird kurz gebetet, eines der Schreineigenen Pferde fotografiert und weiter geht es nach oben.

Ich passiere immer mehr Plateaus, und werde langsam aber sicher wirklich hungrig. Nach einem ausgiebigen Frühstück am Schrein des Elefanten, bin ich dann um einiges schlauer. Erstens: Es ist noch ein weiter, weiter Weg bis zum obersten Schrein. Zweitens: Ich muss zu dem Schrein, weil es ausgerechnet der für die „Schwein-geborenen“ ist. Und drittens: Dieser Treppenmarathon Schrein-aufwärts wird von den japanischen Selbstverteidigungskräften als Marschstrecke verwendet. Das allein sollte mir eine Ahnung geben, wie hart dieser Aufstieg noch wird. Außerdem werden die neuen Absolventen der japanischen Marine hier gesegnet. Schmucke Männer in Uniform.

Ich will nicht lügen, als der Hauptschrein endlich in Sicht kommt und zusammen mit mir einige japsende Mittelschüler das Plateau betreten, will ich aufgeben. Die Karte zeigt, dass es noch immer ein harter Weg bis zum Gipfel ist, und ich mag nicht mehr. Doch schließlich siegt der innere Trotzkopf, welcher sich nicht von der 85 jährigen Omi erzählen lassen will, dass sie jeden zweiten Dienstag bis zum Schwein-Schrein wandert. Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Es wäre auch beinahe wirklich meine letzte Tat geworden, denn an einem Punkt bin ich so fixiert auf’s geradeaus laufen, dass ich beinahe über den Pfadrand hinaus gen Tal gefallen wäre. Da ist ein Stück der Seitenbegrenzung abgebrochen, das sollte mal wer reparieren. Ich japse und fluche, laufe und schlurfe, und irgendwann bin ich endlich oben. Zusammen mit vier weiteren Mittelschülerinnen, die gleich verdonnert werden, ein Beweisfoto zu schießen. Außerdem kaufe ich mir das Mamori vom obersten Schrein. Wenn das jetzt kein Glück bringt, dann spiele ich einfach nicht mehr mit.      

Auf dem Weg bergab habe ich dann viel mehr Spaß an der schönen Landschaft, und wünsche den mir entgegen kommenden Japanern ausgelassen einen schönen Tag. Außerdem kann ich mit einer Gebetsketten Verkäuferin schwatzen und mit meinem besten „armer Student“ Gesicht einen ziemlichen Rabatt herausschlagen. Schließlich esse ich auch noch die berühmten Udon vom Kanpira-san.

Morgen geht es auf nach Naruto, und dann ist meine Reise in Shikoku auch schon fast vorbei. Mitte nächster Woche bin ich wieder in Kyôto, und dann sind es noch 11 Tage bis zum Heimflug. Herrgott, wo ist denn die ganze Zeit hin?