Dienstag, 8. Mai 2012

Hakodate Stadt, immer für eine Überraschung zu haben


Nostalgie pur. Während in Tôkyô und Kyôto schon alle ganz abgeklärt über Ausländer hinwegsehen, wurde in Hakodate jetzt schon dreimal mit dem Finger auf mich gezeigt. Hach, das erinnert mich an Fukuyoshi. Aber egal, ich bilde mir einfach ein, dass die alle nur ganz neidisch auf meine Haarspangen sind.

Vor 9 Uhr morgens hat in Hakodate nur der Fischmarkt offen, also muss ich mich nicht allzu früh aus dem Bett quälen. Diesmal trotz trügerischem Sonnenschein mit Rollkragenpullover und zwei Jacken geht es raus auf Frühstücksuche. Der Fischmarkt, an dem ich als erstes vorbeikomme, eignet sich dafür eher weniger. Irgendetwas an dem omnipotenten Fischgeruch auf nüchternen Magen bekommt mir nicht. Doch ein paar Minuten später stehe ich mitten im Fabrikviertel, und genau vor dem großen Hakodate Süßigkeiten Laden. Mit einem Käsekuchen reiße ich mich wieder von den Waren los und esse in der Sonne am Springbrunnen aus Fässern. Ein paar Meter weiter kreuzt ein Suppenrestaurant mit Take out meinen Weg. Ich esse eine Hakodate Fisch Suppe direkt am Pier. Dabei gibt es nicht nur Möwen und Schiffe, sondern auch Heerscharen von Schülern zu beobachten, die durch die Hafenpromenade getrieben werden.

Die riesigen Fabrikhallen am Hafen beherbergen Geschäfte mit allem, wofür Hakodate/Hokkaidô berühmt ist, oder gerne berühmt sein würde (Schweizer Spieluhren?). Zum Beispiel Käsekuchen oder kleine Biskuits mit Käsesahne. Mit Probierproben. PROBIERPROBEN! Meine Taktik: Zunächst freundlich auf Japanisch ansprechen. Sich jede Geschmacksrichtung zeigen lassen. Probieren, was das Zeug hält. Und dann die alles entscheidende Frage stellen: Kann ich die frischen Backwaren nach Deutschland schicken? Nein? Oh, wie Schade. Und auf zum nächsten Stand.

Doch dann taucht aus dem Nichts ein Plüschtiergeschäft vor mir auf. An der ersten Tür komme ich noch mit dem Mantra: Ich brauche keinen Teddybär, vorbei. Doch an der zweiten Tür steht ein Totoro. Game over. So viele Teddybären und Hasen und Eisbären und Eulen und alle sind sooooo flauschig. Ich konnte mich gerade noch vom Kaufrausch abhalten, aber für wie lange noch? Fluchtartig verlasse ich das Geschäft. Außerdem treffe ich einen Maler, der von Nagoya vor einem Monat nach Hakodate umgezogen ist und jetzt erstmal neue Bilder malen muss. Und ich entdecke eine Glasbläserei, in der zwei ältere Japaner noch per Hand jedes einzelne Stück in ihrem Laden herstellen. Und hinter eine großen Glaswand die ganze Zeit arbeiten, während ihre Frauen den Laden betreuen. Für 15 Euro könnte ich meine eigene Skulptur herstellen, doch wie soll ich eine zerbrechliche Glasfigur durch meine ganze Reise retten? Leider sind in dem Laden Fotos verboten. Aber am Eingang gibt es einen wackelnden Doraimon. Quasi einen Wackelmon.

Der schwarze Fisch mit den Glupschaugen ist übrigens eine Art Maskottchen (für den Fischfang?). Und ich weiß, es ist völlig bescheuert, aber die Fisch-Ohrenschützer haben es mir angetan. Allein der Gedanke, mit Fischohrenschützern durch Glashütte zu flanieren… Irgendwo will ich im Restaurant auch den fotografierten Käse essen. Mal im Internet suchen, wo es den gibt. Kaufen wäre ja sinnlos, so ohne Küche. Bisher liebe ich Hokkaidô für seine Kühe und all die leckeren Produkte, die sie deswegen herstellen können.  

Hokkaidô hat einige sehr westlich aussehende Bauten und sogar einige berühmte Kirchen aus der Meiji Zeit. Für Ausländer sind Backsteinbauten bestimmt völlig normal und langweilig. Doch ich, nun auch schon einige Zeit in Japan, fotografiere genauso wie alle anderen Touristen jedes Haus. Es ist einfach so surreal, diese Häuser so direkt nebeneinander zu sehen. Genauso surreal übrigens, wie die riesige amerikanische Freiheitsstatue neben den traditionellen japanischen Häusern.

Ich betrachte mich ja selbst ein wenig als Berg… *hust* Dorf *hust* ich meine Bergstadt Kind. Aber beim Anblick der teilweise steilen Straßen Bergauf wird mir doch ein wenig mulmig. Aber keine Müdigkeit vorschützen, ich schlage mich zu Fuß durch. So erlebt man viel mehr. Obwohl einige Erlebnisse mehr als zweifelhaft sind.

Ich finde nämlich ein… ich denke es war ein Ainu-Informationscenter/Ainu Laden. Der Ladeninhaber spricht gerade mit einem älteren Herren mit Bärzähnen als Halsschmuck. Beide mustern mich zunächst recht feindlich, fragen aber schließlich nach meinem Herkunftsort. Auf meine Antwort hellen sich ihre Gesichter sofort auf, und ich entspanne mich. Dann machen beide gleichzeitig den Hitlergruß, rufen Heil Hitler! und schieben mich in den Laden. Während ich noch versuche zu verarbeiten, was da gerade passiert ist, steht bereits eine Tasse Kaffee vor mir die beiden lamentieren über Deutsch-Japanische Freundschaft und die „gute alte Zeit“. Ich hatte ja gestern keine Skrupel zu einem unbekannten Japaner ins Auto zu steigen, aber den Kaffee lasse ich stehen. Eigentlich will ich sofort das Weite suchen, doch meine Neugier siegt zunächst. Warum geben zwei offensichtliche Ainu Nachfahren so einen Mist von sich? Ich versuche so klar wie möglich Fragen zu beantworten und hoffe, dass man mir die Inneren Zuckungen bei einigen Aussagen nicht ansieht. Argh, darauf bin ich nicht vorbereitet. Nebenbei erfahre ich ein paar neue Dinge über Ainukultur. Anscheinend haben die Ainu früher ihre Geschichten für Kinder auf große Stoffe (Jacken?) gestickt, die dann vererbt wurden. Also praktisch gestickte Bilderfolgen, zu denen dann die Geschichte erzählt wurde. Und es gibt jetzt anscheinend Bücher mit Bildern dieser Stickereien und der Geschichte daneben. Und ich habe ein kleines Instrument geschenkt bekommen. Hätte ich es ablehnen sollen, hätte ich sofort reißaus nehmen sollen? Wahrscheinlich. Argh, darauf bin ich echt nicht vorbereitet.

Als nächstes geht es weiter den Berg hinauf und in einige der Kirchen. Besonders die russisch-orthodoxe ist interessant. Normalerweise leben Kirchen dieser Art ja von den punkvollen und großen Wandgemälden. Doch, da diese Kirchen recht klein sind, werden einfach ganz viele kleine Gemälde direkt über den Altar gemalt. Das sieht sehr ungewohnt aus, ist aber Platzsparend. In den Kirchen herrscht aber striktes Kameraverbot. Vor dem Altar stehend, werde ich plötzlich von einem jungen Paar angesprochen. Ich soll ihnen sagen, wo auf einem einen Bild (eine Nachbildung vom Letzten Abendmahl) Judas zu sehen sei. Ich starre auf das winzige Bild über dem Altar und dann zu den Beiden. Nur weil ich ein blonder Ausländern bin, muss ich also Judas erkennen? Nein, so ist das bestimmt nicht gemeint, aber ich bin fast noch etwas überraschter zu bemerken, dass ich es nicht weiß. Ist Judas überhaupt auf diesem Bild? Schnell zähle ich alle Personen auf dem Bild. Also, wenn da nicht ein Kellner reingemalt wurde, dann muss Judas dabei sein. Aber welcher? Da Vinci Code hin oder her, ich weiß es wirklich nicht. Wir fragen dann die anwesenden Schwestern, und auch die können es nicht genau sagen. Dafür schieben sie uns mit Nachdruck zu einem „Fingernagel“ des Heiligen Nicolais. Ich verabschiede mich dann lieber schnell.

Ich laufe weiter durch die Straßen und komme schließlich am ehemaligen Rathaus von Hakodate an. Lasst mich zunächst etwas klarstellen: Hokkaidôs bunte Häuser haben es mir angetan. Die sind grün, und blau und gelb und rosa, dass es eine wahre Freude ist. Das ist erfrischend und wirkt irgendwie so freundlich. Aber dieses… gelbe Monstrum… Kitsch bis zum abwinken. Wirklich nicht mein Stil.

Ich mache mich als nächstes auf zum Ausländerfriedhof. Der ist natürlich ganz weit außerhalb der Stadt, und ich laufe durch völlig untouristische Gebiete. Es ist seltsam, zwischen den japanischen Grabsteinen plötzlich bekannte Kreuze zu sehen. Ganz komisch. Obwohl es natürlich auch christliche Japaner gibt. Aber es ist trotzdem irgendwie komisch. Auf dem Weg zurück entdecke ich einen älteren Herren, der Zweige in einem großen alten Ofen verbrennt. Als ich ihn darauf anspreche, erklärt er mir, dass er bis gestern noch so schöne Bäume auf dem Grundstück gehabt hätte. Die seien so schön gewesen und schon so lange auf diesem Grundstück. Aber seine Enkel hätten das Feuerholz gebraucht, und nur deswegen all diese schönen Bäume abgesägt. Und dann auch noch die kleinen Äste überall liegen gelassen. Hach, wie schön, dass manche Problem international, interkontinental völlig gleich sind. (*wink* *wink* *hust* Diesen Baum habe ich mit meinen eigenen Händen…Nein, der ist nicht krank!)

Wann immer ich irgendwo Infotafeln gefunden habe, habe ich sie mit fotografiert. Zum einen für mein Gedächtnis, und zum anderen für etwas mehr Hintergrundinfos zu meinen Bildern. Interessant übrigens, die meisten Gebäudenamen und Hinweisschilder haben auch eine russische Übersetzung mit kyrillischen Buchstaben. Zurück im Hotel schreibe ich den ersten Bericht von heute, lasse schon mal die Bilder hochladen (156 Stück), und ziehe dann los auf der Suche nach einem guten Abendessen.

Es ist verdammt ruhig hier am Abend. Wirklich, alle Läden zu, selbst auf den Hauptstraßen sieht man kaum Autos, geschweige denn Menschen. Ich finde ein großes, nettes Sushirestaurant und bekomme am Eingang gesagt, dass es in 15 Minuten die Letzte Bestellung gibt. WTF? Ich meine, es ist kurz vor 9 Uhr! … Also gut, ich bestelle was das Zeug hält Tunfisch und werde satt. Nun kommt nur immer das gleiche Drama. Was ich auch mache, ich kann mich nie an die Redewendung für die Rechnung erinnern. Doch zwei Frauen neben mir haben gerade ihr Essen beendet, und ich schließe mich mit einem „Ich auch!“ an. Die beiden lachen und meinen, dann könnte ich doch auch ihre Rechnung mit bezahlen. Ich setze mein bestes leidendes Studentengesicht auf (während sich vor mir die Tunfischteller stapeln) und jammere vor mich hin. Am Ende laufen wir zusammen zurück zur Station und ich unterhalte mich mit ihnen super. Aber ich habe diese Öffnungszeiten wirklich nicht bedacht. Gegen 9 klappen die hier wirklich die Bürgersteige hoch. Sieht so aus, als ob meine Tage in Hokkaidô kurz werden. Nach Tôkyô eine Schocktherapie.

2 Kommentare:

  1. Du hast wieder ganz tolle Fotos gemacht. Wenn du irgendwann mal keinen Bock hast auf Japanologie, solltest du darüber nachdenken, deine Brötchen als Fotograf zu verdienen. Du hast ein sehr gutes Auge für Motive. Über die politischen Ansichten der alten japanischen Ureinwohner solltest du mit mehr Gelassenheit hinwegsehen. Einmal ist es die Frage, was die Japaner heute , wie damals , überhaupt über Hitler wissen. Außerdem sehen die meisten Ausländer dieses Kapitel der deutschen Geschichte heute sowieso viel abgeklärter, als wir Deutschen. Der japanische Kaiser war im Zweiten Weltkrieg auch nicht gerade ein Waisenknabe.
    Und ich soll dir wirklich glauben, dass der kleine süße Plüschhase in deiner Hand jetzt nicht in deinem Koffer liegt. Dieses Geschäft ist eine Horrorlocation für Eltern mit kleinen Kindern.

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  2. Ich hab eine gute Minute bei deiner Hitler-Story gelacht. Und als ich das Foto von den beiden gesehen habe, fings von vorne an. Da musst du dir als Deutsche wohl oder übel eine Strategie ausdenken. Mein Hausmeister hat damals auch den Hitlergruß gemacht, als er bei mir in der Wohnung die Übergabe gemacht hat. Quasi als Reaktion auf meine Antwort wo ich denn herkommen würde. Lächeln, nicken und sagen das Hitler Österreicher war. Für andere Themen im Gespräch solltest du sofort eine Gegenfrage stellen. Über alles Nazi-verwandte einfach drüber weggehen.

    Für deinen nächsten Restaurantbesuch: Okanjou onegaishimasu. Im Handy speichern oder so. Ich kann mir das auch nie merken, aber bei Kappa-Sushi kann man die Rechnung über den Touchscreen ordern und überall sonst bezahlt man am Ausgang, da nutzt man das Wort so selten...

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