Montag, 7. Mai 2012

Vom Shinkansen getrollt, von Fremden chauffiert


Mein Koffer ist schwer. Verdammt schwer, um genau zu sein. Ich glaube, in Hakodate muss noch einiges ausgepackt werden. Nachdem der Hindernislauf und die Eisenleitern im Haus überwunden sind, mein Koffer beinahe noch an den als Steinplatten getarnten Stolperfallen zerrissen wäre, ein Aufzug zur U-Bahn gefunden ist und sogar ein Sitzplatz frei wurde, ist Tôkyô Hauptbahnhof endlich in Sicht.

Dort habe ich große Mühe, den Shinkansen Eingang von meinen Fahrkarten zu überzeugen. Nach der dritten Kehrtwende mitsamt Monsterkoffer in dem schmalen Fahrkartenentwerter wird es mir zu bunt. Etwas genervt, da viel zu früh aufgestanden und immer noch frühstücklos, geht es zum freundlichen Schalterbeamten. Der erklärt mir, meine Karten hätten einen Sonderpreis, und könnten deswegen nicht automatisch entwertet werden. Na Prost Mahlzeit. In meinem Umstiegsort Shinaomori habe ich schon so nur 10 Minuten Zeit, mit Monsterkoffer von Gleis X zu Gleis Y zu kommen. Das wird bestimmt spaßig.

Auf dem Gleis trifft mich erst einmal fast der Schlag. Schülerschaaren, mindestens ein ganzer Jahrgang in grauen Uniformen verstopfen jede Türmarke. Wenn die alle mit meinem Zug fahren, werde ich ungemütlich. Doch zum Glück nehmen sie den vor mir, und ich kann mich im allgemeinen Gewimmel ganz vorn an die Tür stellen. Das nützt nur leider nichts, weil mein Sitzplatz genau am anderen Ende des Waggons liegt. Ich bekomme also einigen Gegenverkehr. Vorsicht Ausländer ohne Rücksicht auf Verluste mit Monsterkoffer unterwegs! Doch ich danke meinem Fahrkartenbucher. Er hat mir für beide Züge Fensterplätze besorgt, die auch noch extra Stauraum für meinen Koffer haben. Neben mir sitzt eine freundliche Office Lady, die sehr erleichtert ist, auf Japanisch meinen Ausstiegsort zu bekommen. Die Fahrt ist dann sehr ruhig und entspannend. Das Wetter ist super, die Landschaft immer grüner. Doch eine Sache erinnert mich sehr stark an die Katastrophe vor einem Jahr. Auffallend viele neue Friedhöfe mit neuen Grabsteinen.

Die Umstiegszeit in Shinaomori ist knapp, aber ich finde das Gleis und meinen Sitzplatz schnell genug. Neben mir sitzt diesmal ein älterer Herr, der sein ganzes Leben in Hakodate gelebt hat und Autoreisen durch Hokkaidô unternimmt. Er erklärt mir euphorisch alle Städte und Sehenswürdigkeiten unserer Fahrt und die Tunneldurchquerung unter dem Meer. In Hokkaidô verfärben sich die Blätter übrigens zweimal. Im Herbst UND im Frühling. Das sieht irgendwie komisch aus. Er lädt mich dann kurz vor Hakodate zum Mittagessen ein. Wir verabreden uns am Bahnhof, und ich suche nach meinem Hotel. Suche, und finde schließlich. Von außen hatte ich ja fast etwas Angst, reinzugehen. Etwas heruntergekommen. Dafür zerreißen sich die Mitarbeiter fast vor Höflichkeit. Und alle wollen irgendwie mitmachen. Das Zimmer hat auch definitiv schon bessere Tage gesehen. Aber es gibt eine persönliche Nachricht, das Hotel ist zentral und billig. Ich werde es überleben.

Meine Zugbekanntschaft bittet mich dann, zu ihm ins Auto zu steigen. Für einen kurzen Moment geht mir durch den Kopf: Ich kenne ihn nicht. Ich weiß nicht mal seinen Namen. Der könnte sonst was mit mir… ach egal. Und am Ende bin ich froh, das Risiko eingegangen zu sein. Er hat mich durch die ganze Stadt chauffiert, mir die Geschichte Hakodates erzählt, ist den Berg Hakodate hoch und runter gekurvt für gute Fotomotive und wusste nicht mal meinen Namen. Am Ende kam für mich noch ein besonderes Highlight. Ein Denkmal für den Gründer der Dôshisha, der von Hakodate aus (damals illegal) ins Ausland aufgebrochen ist. ;)

Es gibt am Hakodate Hauptbahnhof auch eine Touristeninformation. Sie haben mich dort mit Karten und allen Infos ausgestattet, die ich in den nächsten Tagen brauchen werde.

Und nun bin ich müde. Eigentlich wollte ich heute Abend nochmal auf den Berg, um das Panorama auch noch per Nacht zu bestaunen. Aber ich bin so müde.

2 Kommentare:

  1. Na da hast du ja nochmal Glück gehabt. Ein Freund, der in Tochigi arbeitet hat mir erzählt, dass dort kürzlich ein Tornado (ein Tor-na-do!) durchgerauscht ist und deswegen die Tohoku-Shinkansen nicht gefahren sind. Du scheinst ja problemlos angekommen zu sein. Wie hat dir die Durchreise durch die Gegend gefallen, an die ich mein Herz verloren habe? Das nördliche Inaka ist wirklich wunderschön. Wenn du unerwartet Zeit haben solltest, dann fahre nach Kakunodate in Akita. Das ist das Kyoto des Nordens (nur ohne die Millionenstadt und die Millionentouristen, alles alte Samuraihäuser).

    Wenn ich deine Fotos sehe bereue ich, dass ich damals nicht nach Hokkaido gefahren bin. Ich hätte mir irgendwie Zeit und Geld verschaffen müssen T_T

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  2. schön, dass alles so gut geklappt hat. Wir sind auch wieder gut in Glashütte angekommen. Weiterhin viele tolle Erlebnisse.

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