Nostalgie pur. Während in Tôkyô und Kyôto schon alle ganz
abgeklärt über Ausländer hinwegsehen, wurde in Hakodate jetzt schon dreimal mit
dem Finger auf mich gezeigt. Hach, das erinnert mich an Fukuyoshi. Aber egal,
ich bilde mir einfach ein, dass die alle nur ganz neidisch auf meine
Haarspangen sind.
Vor 9 Uhr morgens hat in Hakodate nur der Fischmarkt offen,
also muss ich mich nicht allzu früh aus dem Bett quälen. Diesmal trotz
trügerischem Sonnenschein mit Rollkragenpullover und zwei Jacken geht es raus
auf Frühstücksuche. Der Fischmarkt, an dem ich als erstes vorbeikomme, eignet
sich dafür eher weniger. Irgendetwas an dem omnipotenten Fischgeruch auf
nüchternen Magen bekommt mir nicht. Doch ein paar Minuten später stehe ich
mitten im Fabrikviertel, und genau vor dem großen Hakodate Süßigkeiten Laden.
Mit einem Käsekuchen reiße ich mich wieder von den Waren los und esse in der
Sonne am Springbrunnen aus Fässern. Ein paar Meter weiter kreuzt ein
Suppenrestaurant mit Take out meinen Weg. Ich esse eine Hakodate Fisch Suppe
direkt am Pier. Dabei gibt es nicht nur Möwen und Schiffe, sondern auch
Heerscharen von Schülern zu beobachten, die durch die Hafenpromenade getrieben
werden.
Die riesigen Fabrikhallen am Hafen beherbergen Geschäfte mit
allem, wofür Hakodate/Hokkaidô berühmt ist, oder gerne berühmt sein würde (Schweizer
Spieluhren?). Zum Beispiel Käsekuchen oder kleine Biskuits mit Käsesahne. Mit
Probierproben. PROBIERPROBEN! Meine Taktik: Zunächst freundlich auf Japanisch
ansprechen. Sich jede Geschmacksrichtung zeigen lassen. Probieren, was das Zeug
hält. Und dann die alles entscheidende Frage stellen: Kann ich die frischen
Backwaren nach Deutschland schicken? Nein? Oh, wie Schade. Und auf zum nächsten
Stand.
Doch dann taucht aus dem Nichts ein Plüschtiergeschäft vor
mir auf. An der ersten Tür komme ich noch mit dem Mantra: Ich brauche keinen
Teddybär, vorbei. Doch an der zweiten Tür steht ein Totoro. Game over. So viele
Teddybären und Hasen und Eisbären und Eulen und alle sind sooooo flauschig. Ich
konnte mich gerade noch vom Kaufrausch abhalten, aber für wie lange noch?
Fluchtartig verlasse ich das Geschäft. Außerdem treffe ich einen Maler, der von
Nagoya vor einem Monat nach Hakodate umgezogen ist und jetzt erstmal neue
Bilder malen muss. Und ich entdecke eine Glasbläserei, in der zwei ältere
Japaner noch per Hand jedes einzelne Stück in ihrem Laden herstellen. Und
hinter eine großen Glaswand die ganze Zeit arbeiten, während ihre Frauen den
Laden betreuen. Für 15 Euro könnte ich meine eigene Skulptur herstellen, doch
wie soll ich eine zerbrechliche Glasfigur durch meine ganze Reise retten?
Leider sind in dem Laden Fotos verboten. Aber am Eingang gibt es einen wackelnden
Doraimon. Quasi einen Wackelmon.
Der schwarze Fisch mit den Glupschaugen ist übrigens eine
Art Maskottchen (für den Fischfang?). Und ich weiß, es ist völlig bescheuert,
aber die Fisch-Ohrenschützer haben es mir angetan. Allein der Gedanke, mit
Fischohrenschützern durch Glashütte zu flanieren… Irgendwo will ich im
Restaurant auch den fotografierten Käse essen. Mal im Internet suchen, wo es
den gibt. Kaufen wäre ja sinnlos, so ohne Küche. Bisher liebe ich Hokkaidô für
seine Kühe und all die leckeren Produkte, die sie deswegen herstellen können.
Hokkaidô hat einige sehr westlich aussehende Bauten und
sogar einige berühmte Kirchen aus der Meiji Zeit. Für Ausländer sind
Backsteinbauten bestimmt völlig normal und langweilig. Doch ich, nun auch schon
einige Zeit in Japan, fotografiere genauso wie alle anderen Touristen jedes
Haus. Es ist einfach so surreal, diese Häuser so direkt nebeneinander zu sehen.
Genauso surreal übrigens, wie die riesige amerikanische Freiheitsstatue neben
den traditionellen japanischen Häusern.
Ich betrachte mich ja selbst ein wenig als Berg… *hust* Dorf
*hust* ich meine Bergstadt Kind. Aber beim Anblick der teilweise steilen
Straßen Bergauf wird mir doch ein wenig mulmig. Aber keine Müdigkeit
vorschützen, ich schlage mich zu Fuß durch. So erlebt man viel mehr. Obwohl
einige Erlebnisse mehr als zweifelhaft sind.
Ich finde nämlich ein… ich denke es war ein Ainu-Informationscenter/Ainu
Laden. Der Ladeninhaber spricht gerade mit einem älteren Herren mit Bärzähnen
als Halsschmuck. Beide mustern mich zunächst recht feindlich, fragen aber
schließlich nach meinem Herkunftsort. Auf meine Antwort hellen sich ihre
Gesichter sofort auf, und ich entspanne mich. Dann machen beide gleichzeitig
den Hitlergruß, rufen Heil Hitler! und schieben mich in den Laden. Während ich
noch versuche zu verarbeiten, was da gerade passiert ist, steht bereits eine
Tasse Kaffee vor mir die beiden lamentieren über Deutsch-Japanische
Freundschaft und die „gute alte Zeit“. Ich hatte ja gestern keine Skrupel zu einem
unbekannten Japaner ins Auto zu steigen, aber den Kaffee lasse ich stehen. Eigentlich
will ich sofort das Weite suchen, doch meine Neugier siegt zunächst. Warum
geben zwei offensichtliche Ainu Nachfahren so einen Mist von sich? Ich versuche
so klar wie möglich Fragen zu beantworten und hoffe, dass man mir die Inneren
Zuckungen bei einigen Aussagen nicht ansieht. Argh, darauf bin ich nicht
vorbereitet. Nebenbei erfahre ich ein paar neue Dinge über Ainukultur.
Anscheinend haben die Ainu früher ihre Geschichten für Kinder auf große Stoffe
(Jacken?) gestickt, die dann vererbt wurden. Also praktisch gestickte
Bilderfolgen, zu denen dann die Geschichte erzählt wurde. Und es gibt jetzt
anscheinend Bücher mit Bildern dieser Stickereien und der Geschichte daneben.
Und ich habe ein kleines Instrument geschenkt bekommen. Hätte ich es ablehnen
sollen, hätte ich sofort reißaus nehmen sollen? Wahrscheinlich. Argh, darauf
bin ich echt nicht vorbereitet.
Als nächstes geht es weiter den Berg hinauf und in einige
der Kirchen. Besonders die russisch-orthodoxe ist interessant. Normalerweise
leben Kirchen dieser Art ja von den punkvollen und großen Wandgemälden. Doch,
da diese Kirchen recht klein sind, werden einfach ganz viele kleine Gemälde
direkt über den Altar gemalt. Das sieht sehr ungewohnt aus, ist aber
Platzsparend. In den Kirchen herrscht aber striktes Kameraverbot. Vor dem Altar
stehend, werde ich plötzlich von einem jungen Paar angesprochen. Ich soll ihnen
sagen, wo auf einem einen Bild (eine Nachbildung vom Letzten Abendmahl) Judas
zu sehen sei. Ich starre auf das winzige Bild über dem Altar und dann zu den
Beiden. Nur weil ich ein blonder Ausländern bin, muss ich also Judas erkennen?
Nein, so ist das bestimmt nicht gemeint, aber ich bin fast noch etwas
überraschter zu bemerken, dass ich es nicht weiß. Ist Judas überhaupt auf
diesem Bild? Schnell zähle ich alle Personen auf dem Bild. Also, wenn da nicht
ein Kellner reingemalt wurde, dann muss Judas dabei sein. Aber welcher? Da
Vinci Code hin oder her, ich weiß es wirklich nicht. Wir fragen dann die
anwesenden Schwestern, und auch die können es nicht genau sagen. Dafür schieben
sie uns mit Nachdruck zu einem „Fingernagel“ des Heiligen Nicolais. Ich
verabschiede mich dann lieber schnell.
Ich laufe weiter durch die Straßen und komme schließlich am
ehemaligen Rathaus von Hakodate an. Lasst mich zunächst etwas klarstellen:
Hokkaidôs bunte Häuser haben es mir angetan. Die sind grün, und blau und gelb
und rosa, dass es eine wahre Freude ist. Das ist erfrischend und wirkt
irgendwie so freundlich. Aber dieses… gelbe Monstrum… Kitsch bis zum abwinken.
Wirklich nicht mein Stil.
Ich mache mich als nächstes auf zum Ausländerfriedhof. Der
ist natürlich ganz weit außerhalb der Stadt, und ich laufe durch völlig untouristische
Gebiete. Es ist seltsam, zwischen den japanischen Grabsteinen plötzlich
bekannte Kreuze zu sehen. Ganz komisch. Obwohl es natürlich auch christliche
Japaner gibt. Aber es ist trotzdem irgendwie komisch. Auf dem Weg zurück
entdecke ich einen älteren Herren, der Zweige in einem großen alten Ofen
verbrennt. Als ich ihn darauf anspreche, erklärt er mir, dass er bis gestern
noch so schöne Bäume auf dem Grundstück gehabt hätte. Die seien so schön
gewesen und schon so lange auf diesem Grundstück. Aber seine Enkel hätten das
Feuerholz gebraucht, und nur deswegen all diese schönen Bäume abgesägt. Und
dann auch noch die kleinen Äste überall liegen gelassen. Hach, wie schön, dass
manche Problem international, interkontinental völlig gleich sind. (*wink*
*wink* *hust* Diesen Baum habe ich mit meinen eigenen Händen…Nein, der ist
nicht krank!)
Wann immer ich irgendwo Infotafeln gefunden habe, habe ich
sie mit fotografiert. Zum einen für mein Gedächtnis, und zum anderen für etwas
mehr Hintergrundinfos zu meinen Bildern. Interessant übrigens, die meisten
Gebäudenamen und Hinweisschilder haben auch eine russische Übersetzung mit
kyrillischen Buchstaben. Zurück im Hotel schreibe ich den ersten Bericht von
heute, lasse schon mal die Bilder hochladen (156 Stück), und ziehe dann los auf
der Suche nach einem guten Abendessen.
Es ist verdammt ruhig hier am Abend. Wirklich, alle Läden
zu, selbst auf den Hauptstraßen sieht man kaum Autos, geschweige denn Menschen.
Ich finde ein großes, nettes Sushirestaurant und bekomme am Eingang gesagt,
dass es in 15 Minuten die Letzte Bestellung gibt. WTF? Ich meine, es ist kurz
vor 9 Uhr! … Also gut, ich bestelle was das Zeug hält Tunfisch und werde satt.
Nun kommt nur immer das gleiche Drama. Was ich auch mache, ich kann mich nie an
die Redewendung für die Rechnung erinnern. Doch zwei Frauen neben mir haben
gerade ihr Essen beendet, und ich schließe mich mit einem „Ich auch!“ an. Die
beiden lachen und meinen, dann könnte ich doch auch ihre Rechnung mit bezahlen.
Ich setze mein bestes leidendes Studentengesicht auf (während sich vor mir die
Tunfischteller stapeln) und jammere vor mich hin. Am Ende laufen wir zusammen
zurück zur Station und ich unterhalte mich mit ihnen super. Aber ich habe diese
Öffnungszeiten wirklich nicht bedacht. Gegen 9 klappen die hier wirklich die
Bürgersteige hoch. Sieht so aus, als ob meine Tage in Hokkaidô kurz werden.
Nach Tôkyô eine Schocktherapie.
Du hast wieder ganz tolle Fotos gemacht. Wenn du irgendwann mal keinen Bock hast auf Japanologie, solltest du darüber nachdenken, deine Brötchen als Fotograf zu verdienen. Du hast ein sehr gutes Auge für Motive. Über die politischen Ansichten der alten japanischen Ureinwohner solltest du mit mehr Gelassenheit hinwegsehen. Einmal ist es die Frage, was die Japaner heute , wie damals , überhaupt über Hitler wissen. Außerdem sehen die meisten Ausländer dieses Kapitel der deutschen Geschichte heute sowieso viel abgeklärter, als wir Deutschen. Der japanische Kaiser war im Zweiten Weltkrieg auch nicht gerade ein Waisenknabe.
AntwortenLöschenUnd ich soll dir wirklich glauben, dass der kleine süße Plüschhase in deiner Hand jetzt nicht in deinem Koffer liegt. Dieses Geschäft ist eine Horrorlocation für Eltern mit kleinen Kindern.
Ich hab eine gute Minute bei deiner Hitler-Story gelacht. Und als ich das Foto von den beiden gesehen habe, fings von vorne an. Da musst du dir als Deutsche wohl oder übel eine Strategie ausdenken. Mein Hausmeister hat damals auch den Hitlergruß gemacht, als er bei mir in der Wohnung die Übergabe gemacht hat. Quasi als Reaktion auf meine Antwort wo ich denn herkommen würde. Lächeln, nicken und sagen das Hitler Österreicher war. Für andere Themen im Gespräch solltest du sofort eine Gegenfrage stellen. Über alles Nazi-verwandte einfach drüber weggehen.
AntwortenLöschenFür deinen nächsten Restaurantbesuch: Okanjou onegaishimasu. Im Handy speichern oder so. Ich kann mir das auch nie merken, aber bei Kappa-Sushi kann man die Rechnung über den Touchscreen ordern und überall sonst bezahlt man am Ausgang, da nutzt man das Wort so selten...