Freitag, 16. September 2011

Wenn der Postbote zweimal hinschaut

Heue ging es mal zur Abwechslung erwas später zur Uni und damit auf zu einer weiteren Orientation. Diesmal betraf sie unsere Kursregistration.

Also, ich muss dazu mal etwas generell sagen: Einführungs- und Informationsveranstaltungen sind wichtig. Ja, und es ist verständlich, dass man am Anfang eines Semesters damit überhäuft wird. Doch der Zweck dieser Veranstaltungen, besonders an die Leute gerichtet, die sich nicht allein durch die japanischen Papierberge kämpfen können, ist zuallererst Verständlichkeit und Fehlerprävention, oder?

Warum bestehen die sogenannten Orientations dann nur aus dem Vorlesen des japanischen Infomaterials? Eine weitere Frustration ist die englische Übersetzerin. Ich weiß nicht, ob diese Frau mal von einem tollwütigen Mikrophon angefallen wurde, jedenfalls hält sie das Ding soweit weg von ihrem Gesicht wie nur menschenmöglich. Als Ergebnis bekommen nur Reihe eins bis drei den fast dahingehauchten Satz mit, den sie pro japanischer, vollbeschriebener Seite von sich gibt.

Selbst, wenn man sie versteht, ist man immer noch nicht schlauer. Mit der Zeit frustriert dieses Gebaren sichtlich.

So gibt es zum Beispiel eine Seite in dem Infomaterial, die sich mit der Kurswahl beschäftigt, und welche Kurse mit wie vielen Creditpunkten man wählen kann. Der japanische Sprecher erklärt im Detail, dass man nicht mehr als 20 Creditpunkte pro Semester belegen darf, es elektive und sprachorientierte Kurse gibt, die unterschiedlich in dieses System eingehen, und welche Art von Austauschstudent in welchen Programm überhaupt für welche Seminare zugelassen ist. Die englische Übersetzerin haucht nur einen Satz ins Mikrophon: Die maximale Anzahl von Creditpunkten ist 20.

Nach diesem vielsagenden Nichts an Informationen machen Emily und ich uns auf, an einem Tag so viel Geld zu verbrennen, wie noch nie zuvor. Die Miete muss bezahlt, das Mietgeld für das Futonset bei einer Bank überwiesen  und schließlich noch ein Konto mit unseren Handys eröffnet werden.

Die Unterschrift von einem Ausländer ist nämlich nichts wert, aber sobald irgendein Idiot irgendwoher ein Handy bekommt, kann er so viele Konten eröffnen, wie er lustig ist. Aber egal, denn soweit kommt es gar nicht.

Im Postamt, dem einzigen Ort zur Mietüberweisung, die außerdem in Bar bezahlt werden muss, gibt es plötzlich Probleme. Während Emily an ihrem Schalter einfach durchgewunken wird und bald schon neben mir wartet, beäugt der Postangestellte meine Anschrift kritisch, hämmert auf seinen PC ein, riskiert einen weiteren Blick und schüttelt schließlich den Kopf. Die Adresse sei falsch. Wie jetzt, falsch? Also, wenn sie meine Kanji nicht lesen können, das tut mir Leid. Ich dachte nur, so wäre es einfacher... Was hießt hier, es sind nicht die Kanji? Die Postleitzahl? Ja, die habe ich von meiner Wohnheimzulassung abgeschrieben. Schauen Sie hier, da steht es doch.

Ja, kommt heraus, auf meinem offiziellen Dokument von der Universität ist eine Adresse gedruckt, aber leider keine korrekte. Die Postleitzahl führt in einen völlig anderen Stadtteil. In meinem Kopf wird ein Horrorszenario von dem nächsten verdrängt. Oh mein Gott, der große Papierberg von der Dôshisha, alles falsch! Das muss ich alles noch einmal ausfüllen. Oh nein, meine Aliencard, die wir mit Ach und Krach beantragt haben! Die brauche ich doch so schnell wie möglich, und jetzt stimmt die nicht. Wenn mich jemand damit kontrolliert, die könnten mich ausweisen.

Doch ein Gedanke verdrängt all die anderen Unannehmlichkeiten: Das Paket! Das bereits abgeschickte Paket, meine Schokolade... meine Messer! Der Postangestellte kann mir nicht versichern, dass das Paket ankommt. Zunächst wird es auf jeden Fall falsch ausgeliefert und dann, wenn der Postbote weiter ließt und ein Herz für Gaijin hat, vielleicht wird er dann das Paket... Ich nicke nur ergeben und wir verlassen die Post.

Emily ist nun auch völlig von der Rolle. Zwar kann sie meine Sorge um das von meinem Opa geschliffene Messerset nicht ganz teilen, doch  all die anderen Probleme treffen auch auf sie zu. Kurz schauen wir noch bei der Bank vorbei und bezahlen die Miete für den Futon. Habe ich übrigens erwähnt, dass beide Orte die einzige Möglichkeit für uns sind, diese Dinge zu bezahlen? Und sie uns dafür trotzdem eine Gebühr von 4 Euro berechnen? Frechheit, sowas!

Auf geht es zurück zur Universität, wo hoffentlich irgendjemand erklären kann, warum sie wichtige Dokumente mit falschen Adressen an ahnungslose Ausländer versenden. Natürlich könnte man schon, will man aber nicht. Nachdem wir die Damen im International Student Office davon überzeugen können, sich unsere Dokumente wenigstens mal anzusehen, anstatt auf die eigene Unfehlbarkeit zu pochen, kommt ziemlich lange gar keine Reaktion. Dann ist eine Dame zurück, verbeugt sich kurz und sagt: Ja, das stimmt. Leider ist es die falsche Adresse. Ihre Aliencard hat aber zum Glück die Postleitzahl nicht, nur bei allen anderen Meldestellen müssen sie diesen Fehler korrigieren gehen. Entschuldigen Sie, für die Unannehmlichkeiten.

Ich will über die Theke springen! Wenn wir beide die falsche Postleitzahl bekommen haben, dann bestimmt noch einige mehr aus unserem Wohnheim. Die laufen alle völlig ahnungslos durch die Gegend, weil bei ihnen kein Japaner zweimal hingeschaut hat. Doch was soll's, ärgern, wütend werden und auf den Boden stampfen, macht die Situation auch nicht besser. Wir verabschieden uns und sagen jedem aus unserem Wohnheim Bescheid, den wir treffen. Einige haben bereits Probleme, andere sind noch völlig ahnungslos und wollen uns nicht so recht glauben. Wir schicken sie ins International Student Office.

Da nun wenigstens alles grob geklärt ist und so schnell keine negativen Konsequenzen zu erahnen sind, entschließen wir uns, dass unsere heutigen Ausgaben sowieso schon astronomisch hoch sind. Also machen die Fahrräder den Braten auch nicht mehr fett. Zusammen mit Kyle (ebenfalls aus London) machen wir uns auf zu dem Gebrauchtfahrrad Händler.

Was soll ich sagen? Es war billig, pink und ohne Gangschaltung. Und es hat Mama zu mir gesagt. Darf ich vorstellen? Mein Super Suteki Pinku Bike:




Wenigstens werde ich es überall wiederfinden. Und es kommt bereits mit einem Schloss (auch wenn den alten Drahtesel bestimmt keiner klauen wird). Der ansetzende Rost an den Bremsen ist zwar etwas bedenklich, aber bisher funktionieren sie noch ganz gut. Emily ist seit fast 12 Jahren nicht mehr Rad mehr gefahren und ich verschweige, dass es bei mir wahrscheinlich mindestens genauso lange her ist.

Zur Übung holen wir noch schnell Kyles Fahrrad aus der Uni, lassen uns einen gelben Aufkleber verpassen, der das Parken auf dem Unigelände erlaubt, und fahren in den Park. Eigentlich ein guter Übungsplatz, wäre er nicht mit Kieselsteinboden ausgelegt, in dem auch geübte Fahrer schnell wegrutschen oder nur schwer vorankommen.

Einziges Entrinnen bietet eine kleine, schmale Spur in der Mitte des Weges, die von Kieselsteinen befreit wurde. Fahrrad fahren mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Auf dem Rückweg passieren wir einen großen Transporter, in dem Pferde aufgezäumt werden. Leider kann ich nur den Sattel und das nette Hinterteil eines der Polizisten fotografieren, bevor sie uns verscheuchen. Anscheinend ist das die japanische Polizeireiterstaffel. Kurz vor der Dôshisha fängt es langsam an zu regnen.

Nach einer weiteren Einführung, diesmal zum Thema Bibliothek, machen Emily und ich unsere erste Einkaufstour mit Fahrrad. Es geht schneller, doch die Verkehrsregeln sind mir noch nicht ganz klar. Fußgänger sind zum Glück heute nicht zu Schaden gekommen. Wir kaufen Obst und Gemüse im Dutzend vom billigen Gemüsehändler, was wir dann untereinander aufteilen können. Außerdem haben wir ein tolles Gespräch mit einer Frau im Supermarkt, von der ich eigentlich nur die Zubereitung von Manju wissen wollte. Ihre Tochter ist früher viel gereist, doch jetzt ist sie verheiratet, wenn auch zu spät und mit einem Dummkopf, aber wenigstens sind bald Kinder in Sicht.

Wir machen die mentale Notiz, nächste Woche zur gleichen Zeit wieder her zu kommen. Vielleicht trifft man sich ja wieder. Zuhause bezwingen wir zum ersten Mal die Waschmaschinen und Yuki erzählt, dass es wohl bald einen Taifun gibt. Wie aufs Stichwort fängt es an unglaublich zu schütten.

Jetzt ist erst einmal Schluss mit diesem ellenlangen Blogeintrag. Ich habe mir ein Bad und etwas Entspannung heute wirklich verdient.

2 Kommentare:

  1. schickes Fahrrad und auf alle Fälle schneller aus dem großen Pulk herauszufinden, als ein schwarzes. Mach dir keine so große Sorgen um das Paket. Denk an meine Brille. In Japan kommt nichts weg!Irgend ein freundlicher Postbote bringt es dir bestimmt als reitender Bote persönlich vorbei.

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  2. So schnell weist dich keiner aus dem Land. Im Zweifelsfall kannst du immer den Gaijin-Joker aus dem Ärmel schütteln. Verwirrt schauen und lächeln, schlecht Japanisch sprechen und dich immer wieder entschuldigen!

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