Ich liebe mein neues Zuhause im Tempel, aber nachts ist es
hier gruselig. Ich bin der einzige Gast, die Haushältern und Mönche leben in
einem anderen Trakt, also bin ich in diesem Teil des Tempels völlig allein. So
ein hölzerner Tempel knackt nachts, die Schiebetüren klappern und nachtaktive
Tiere tapsen über die Veranda. Ganz zu schweigen von den Schatten, die über die
papierbespannten Wände wandern. Da überlege ich mir schon zweimal, ob ich
nachts raus muss. Auch die ganzen langen Korridore sind malerisch, aber ebenso
verwirrend. Manchmal höre ich in meinem Kopf schon „Und hinter Tür 3 versteckt
sich…!“, wenn ich wieder statt in meinem Zimmer in einem Gebetsraum, der
Toilette oder der Besenkammer stehe. Ich könnte schwören, dass dieses Gebäude
zu 80% aus Türen besteht.
Heute werde ich vom prasselnden Regen geweckt. Na super,
beste Voraussetzungen für meinen Besuch in Kotohira. Doch mit einem geborgten
Schirm geht es trotzdem zum Zug. In Kaiganji gibt es keinen Ort zum
Frühstücken, also verschiebe ich meine erste Mahlzeit auf „nach der Ankunft“ in
Kotohira. So lange dauert die Fahrt ja auch nicht. Leider werde ich dort mit einem altbekannten Problem konfrontiert.
Es ist 9 Uhr, und kaum ein Geschäft hat auf. Während ich mich also entscheide,
auf leeren Magen keine Udon in Soyasoße zu essen, geht es ohne Frühstück an den
Aufstieg.
Mein Ziel ist der Kanpirasan, ein Schreinkomplex mit
vielfältiger Verwendung. Berühmt als Wahlfahrtsort für Seefahrer, und außerdem
bekannt für seine speziellen Schreine nach Geburtstierkreiszeichen, ist er wohl
der bekannteste Schrein in Shikoku. Außerdem ist er der am schwersten zugängige
Schrein in ganz Japan. Frei nach dem Motto „Die Japaner übertreiben mal
wieder“, mache ich mich trotzdem an den Aufstieg.
Die ersten Treppen sind ja noch kein Problem. Und da oben
sehe ich auch schon einen Schreinkomplex. So weit ist das doch gar nicht. Nach
einem Beweisfoto vor dem vermeintlich obersten Schreintor stehe ich plötzlich
vor noch mehr Treppen. An deren oberen Ende winkt wieder hämisch ein
Schrein-Plateau. Ok, nun hat mich der Ehrgeiz gepackt und es geht weiter nach
oben. Diesmal stehe ich an dem Schrein für die Pferdegeborenen. Wie passend,
also wird kurz gebetet, eines der Schreineigenen Pferde fotografiert und weiter
geht es nach oben.
Ich passiere immer mehr Plateaus, und werde langsam aber
sicher wirklich hungrig. Nach einem ausgiebigen Frühstück am Schrein des
Elefanten, bin ich dann um einiges schlauer. Erstens: Es ist noch ein weiter,
weiter Weg bis zum obersten Schrein. Zweitens: Ich muss zu dem Schrein, weil es
ausgerechnet der für die „Schwein-geborenen“ ist. Und drittens: Dieser
Treppenmarathon Schrein-aufwärts wird von den japanischen
Selbstverteidigungskräften als Marschstrecke verwendet. Das allein sollte mir
eine Ahnung geben, wie hart dieser Aufstieg noch wird. Außerdem werden die
neuen Absolventen der japanischen Marine hier gesegnet. Schmucke Männer in
Uniform.
Ich will nicht lügen, als der Hauptschrein endlich in Sicht
kommt und zusammen mit mir einige japsende Mittelschüler das Plateau betreten,
will ich aufgeben. Die Karte zeigt, dass es noch immer ein harter Weg bis zum
Gipfel ist, und ich mag nicht mehr. Doch schließlich siegt der innere
Trotzkopf, welcher sich nicht von der 85 jährigen Omi erzählen lassen will,
dass sie jeden zweiten Dienstag bis zum Schwein-Schrein wandert. Und wenn es
das letzte ist, was ich tue. Es wäre auch beinahe wirklich meine letzte Tat
geworden, denn an einem Punkt bin ich so fixiert auf’s geradeaus laufen, dass
ich beinahe über den Pfadrand hinaus gen Tal gefallen wäre. Da ist ein Stück
der Seitenbegrenzung abgebrochen, das sollte mal wer reparieren. Ich japse und
fluche, laufe und schlurfe, und irgendwann bin ich endlich oben. Zusammen mit
vier weiteren Mittelschülerinnen, die gleich verdonnert werden, ein Beweisfoto
zu schießen. Außerdem kaufe ich mir das Mamori vom obersten Schrein. Wenn das
jetzt kein Glück bringt, dann spiele ich einfach nicht mehr mit.
Auf dem Weg bergab habe ich dann viel mehr Spaß an der
schönen Landschaft, und wünsche den mir entgegen kommenden Japanern ausgelassen
einen schönen Tag. Außerdem kann ich mit einer Gebetsketten Verkäuferin
schwatzen und mit meinem besten „armer Student“ Gesicht einen ziemlichen Rabatt
herausschlagen. Schließlich esse ich auch noch die berühmten Udon vom
Kanpira-san.
Morgen geht es auf nach Naruto, und dann ist meine Reise in
Shikoku auch schon fast vorbei. Mitte nächster Woche bin ich wieder in Kyôto,
und dann sind es noch 11 Tage bis zum Heimflug. Herrgott, wo ist denn die ganze
Zeit hin?
Aber der Elefant gehört doch gar nicht zu den Tierkreiszeichen, oder?
AntwortenLöschenDie Schlafmatten im Tempel sind ja wirklich dünn. Die habe ich zuerst für Fußbodenfliesen gehalten. Waren wahrscheinlich auch genauso hart!
AntwortenLöschen