An meinem letzten Tag im Capsule Hotel wird es wohl höchste
Zeit, dass ich meine Erfahrungen mit dieser Unterbringung mal zusammenfasse.
Ich kann das Capsule Hotel in Matsuyama nur jedem ans Herz legen, der eine
günstige, zentrale Unterbringung sucht. Die Mitarbeiter sind superfreundlich,
es gibt Karten der Stadt und sogar Karten der günstigsten Restaurants. Außerdem
findet man hier Wasserkocher, bequeme Nachthemden, Mikrowellen,
Getränkeautomaten, Duschen mit Shampoo, Spülung und Duschgel, sowie saubere
Sanitäranlagen. Die Boxen an sich sind außerdem geräumiger, als man denkt. Mit
Polsterungen an Decke und Kopfwand ist unfreiwilligen Kopfverletzungen
ebenfalls vorgesorgt.
Etwas hart im nehmen muss man trotzdem sein. Die Matratzen
sind superdünn, noch dünner als der gemeine Futon, und sich aus-oder in die Box
zu begeben benötigt neben Geschick auch gute Knie. Ich speziell muss hier meine
Schlafgewohnheiten ändern. Normalerweise schlafe ich auf dem Bauch, Arme und
Beine weit von mir gestreckt. Eine unbewusste Bewegung, und schon knallt mein
Arm mit einem dumpfen Klonk gegen die Seitenwand. Das ist nicht nur recht
schmerzhaft, sondern weckt mich in der ersten Nacht auch einige Male auf. Die
beste Variante für mich scheint sich in bester Sargmanier flach auf den Rücken
zu legen. Nicht gerade die beste Assoziation, aber so bleiben die meisten
unangenehmen Überraschungen aus. Das Hotel hat außerdem nicht nur alle
möglichen Rabatte, so für Schüler/Studenten/Touristen/Langbucher/Frühbucher
ect., sondern auch kostenlose Fahrräder mit Gangschaltung und Korb.
Ich leihe mir heute ein Fahrrad und radele zum Matsuyama
Schloss. Die Route ist gleich der vor zwei Tagen, doch diesmal will ich es bis
zum Schloss schaffen. Der Weg bergauf hat unendlich viele unebene Steinstufen,
und ich fühle mich unweigerlich an Zul’Gurub in WoW erinnert. Aber lassen wir
das.
Oben angekommen, laufe ich zwei Fremdenführerinnen in
Ausbildung in die Arme. Die beiden gehören zu einer Volontärgruppe, die
kostenlose Fremdenführungen in Matsuyama für Touristen anbieten wollen. Das
Problem, welches übrigens nicht nur in Matsuyama auftaucht, ist dabei Englisch.
Die meisten Guides benutzen Texte, aus Büchern oder anderen Quellen, die zwar
grammatisch korrekt sind, aber nur vor Fachwörtern und Schriftsprache strotzen.
Kombiniere also ein gestelztes Englisch mit Fachtermini und einigen
Ausspracheproblemen, und der Besucher versteht nur Bahnhof. Anstatt also auf
Teufel komm raus diese Texte auswendig zu lernen (eine nicht gerade seltene
Praxis), haben sich diese Damen etwas anderes ausgedacht. Sie versuchen die
Texte und ihr Wissen in einfache, klar verständliche Sätze zu packen, an die
sie sich besser erinnern und den Besuchern besser näherbringen können. Ich
finde das eine super Idee. Und nun, nachdem sie sich lange Zeit mit ihren
Touristenattraktionen beschäftigt haben, brauchen sie Versuchskaninchen. Ich
bin natürlich für jede Schandtat zu haben und lasse mich von den beiden Frauen
durch die Anlage führen.
Diese Burg hat es wirklich in sich. Erbaut nach der Schlacht
von Sekigahara, als noch niemand wirklich an den Frieden in der Edo-Zeit
glauben wollte, ist die Burg mit allen Verteidigungsraffinessen ausgestattet.
Der verantwortliche Daimyô nutze seine gesammelten Erfahrungen als langen
Kriegszeiten, um sich eine Superfestung zu bauen. Dumm nur, dass er sie auf Anweisung
des Shôgunats nach Fertigstellung nie bewohnen durfte. Wer solch eine Burg zu „Friedenszeiten“
baut, ist den Herrschenden eben selten geheuer.
Sehr Erwachsen bin ich übrigens sehr angetan von den „Glücksbringern“
die hier an die Türen geschmiedet wurden. Große, eiserne Brüste, die dem Daimyô
viele gesunde Söhne verschaffen sollten. Beweisfotos in der Diashow. Die beiden
Guides zeigen mir außerdem die unterschiedlichen Löcher in der Festungsmauer.
Quadrate für Musketen, Rechtecke für Pfeil- und Bogen. Außerdem gibt es lange
Löcher für kochendes Wasser, dass über Angreifern ausgeschüttet werden konnte.
(In Europa war für solche Zwecke ja Pech sehr beliebt, aber mit einem großen
Holzanteil in japanischen Burgen, war die Brandgefahr zu hoch). Ein besonders
cleverer Trick ist ein an der Außenmauer befestigtes Holzquadrat. Angreifer
würden in diesem die Schwachstelle der Mauer vermuten, und ihre Pfeile und
Kugeln auf genau diese Stelle richten. Hinter dem Holzquadrat befindet sich
jedoch eine Mauer aus massivem Stein. Weitere böse Tricks der Verteidigung sind
zum Beispiel das „Tor ohne Tür“, die plötzliche Feuerfront auf Angreifer von
drei Seiten und eine Burgmauer, die ihren Überhang hinter einer optischen
Täuschung versteckt.
Interessant für mich ist die Tatsache, dass dieses Schloss
nur dem Selbstzweck der Verteidigung dient. Niemand lebte hier, nichts wurde hier
gelagert, außer Proviant für etwaige Belagerungen. Die Burg war die letzte
Bastion im Kriegsfall, mit ihr würde die Stadt Matsuyama fallen. Irgendwie
verstehe ich das Konzept nicht ganz. Wenn alles kaputt ist, das gemeine Volk
gefangen genommen und die Schätze ebenso, warum sollte man dann noch um die
Burg kämpfen? Fakt ist auch, es gab nie Kampfhandlungen in der Burg. Die
einzige kriegerische Verwendung der Burg passierte während eines
Bauernaufstandes in Folge einer langanhaltenden Hungersnot. Zu Neujahr des folgenden
Jahres traf ein Blitz die Burg und alle Dokumente im Inneren verbrannten.
Eine der Frauen hat übrigens drei Jahre in Berlin studiert.
Ich genehmige mir mit einer der Frauen ein Eis und fahre mit dem Sessellift
zurück ins Tal. Ich mache mich dann alleine auf den Weg zu den früherden
Wohngebäuden des Daimyô. Dort kann ich sogar einen Arbeiter, der gerade auf
einem Baum Äste verschneidet, dazu überreden, von weit Oben Fotos von der
Anlage zu machen.
Mein nächste Stop ist der Dogo Onsen, berühmt nicht nur
durch Natsume Sosekis Roman „Botchan“, sondern auch „Chihiros Reise ins
Zauberland“. Der Onsen ans sich ist eine Enttäuschung für mich. Nur ein
winziges Becken, keine Handtücher und noch nicht mal Shampoo oder Seife. Selbst
für den Fön muss man bezahlen. Außerdem haben die alten Damen im Bad wohl noch
nie etwas von Distanz gehört. Während ich gerade nackt im Bad stehe, legt sich
plötzlich eine Hand auf meine Hüfte. Beinahe hätte ich der kleinen alten Frau
hinter mir dafür eine Ohrfeige verpasst. Sie wollte nur mal die „Weichheit“
meiner Haut prüfen. Bitte nicht. Auch andere Zwangsgespräche im Onsen sind nicht besser. „Du bist weiß.“, stellt eine
wirklich, wirklich alte Frau fest, und tatscht mir auf die Schulter. „Hm“,
antworte ich. „Aber nach dem Bad, da wirst du rot“, sinniert sie weiter. „HM“,
antworte ich und versuche mich stillschweigend zu verziehen. „Warum ändert
deine Haut so die Farbe?“, will sie nun wissen. „Weil ich ein Alien bin, steht
auch auf meiner Karte“, möchte ich sagen, lächele aber lieber freundlich
weiter. Manchmal, ja manchmal…
Nach dem Bad entdecke ich noch einen Ghibli Laden. Diesmal
hat der Totoro verloren, und wandert in ein Paket nach Kyôto. Außerdem
liebäugele ich mit einem vollen Baby-Totoro Anzug für saftige 100 Euro. Ich
lasse ihn schließlich stehen, denn es ist unklar, ob die Eltern meines Neffen
sich wirklich darüber freuten, wenn ich ihren Sohn zu einem riesigen Waldmonster
machte.
Ich treffe zum Abschluss noch auf eine ältere Dame, die
gerade auf ihren Enkel aufpasst. Der fängt jedes Mal an zu strahlen, wenn er
mich sieht. Also mache ich zwei Fotos von ihm.
Nachdem ich das Foto von dem Anzug für Benny gesehen habe, denke ich, deine Entscheidung war richtig. Für jemand der nicht gerade ein großer Fan von dieser Comic Figur ist, sieht der Anzug doch etwas gewöhnungsbedürftig aus. Konnte die Bilder aus unerfindlichen Gründen erst heute anschauen. Die Burg erinnert mich an die weiße Burg, die wir damals besucht haben. Weiß allerdings nicht mehr, wo die war.
AntwortenLöschenPS: Der Kleine ist ja voll süß! Wieder ein Beweiß, dass du dir keine Sorgen vor deinem ersten Kontakt mit Benny machen musst. Der wird dich genauso anstrahlen!
AntwortenLöschenDu kannst dir den Totoro Anzug ja für den eigenen Nachwuchs aufsparen. Dem kannst du dann anziehen was du willst (bis er alt genug ist, um Widerspruch zu leisten).
AntwortenLöschenWir wurden damals zu einem Schrein gekarrt, der quasi nur aus einem riesigem Holzpenis bestand. Voller Stolz. Hach ja, die Japaner. Und so hat jeder von uns ein Foto von sich neben einem Holzpenis. Ich war in Wakayama damals in einem Schrein, der Brüste verehrte. Dementsprechend auch die Tempelausstattung. In Japan gibts eben keine böse Schlange, keinen Apfel und keine Scham bei solchen Sachen. Da ist das ganz paganisch einfach Fruchtbarkeit und Fortpflanzung. Natürlich mit einer gehörigen Prise Humor